Werne. Hat die Stadt Werne in der öffentlichen Debatte bewusst verschwiegen, dass neben dem Gewerbe- und Industriegebiet nördlich der Nordlippestraße eine weitere Fläche im Regionalplan ausgewiesen wird, mit der der kommunale Bedarf für Ansiedlungen kleinerer Unternehmen gedeckt werden soll?
Diese Frage drängt sich der Bürgerinitiative Industriegebiet Nordlippestraße (BIN) auf, nachdem sie durch eigene Recherchen beim Regionalverband Ruhr von diesen Planungen erfahren hat. Schon Anfang nächsten Jahres soll es ein öffentliches Beteiligungsverfahren für das rund elf Hektar große Gelände nördlich des bestehenden Gewerbegebietes Nordlippepark zwischen B54 und dem Unternehmen Icopal geben. Das teilt die BIN in einer Pressemitteilung mit.
Zur Erklärung: Nachdem die Aufstellung des Regionalplans im Verfahren gescheitert ist und noch längere Zeit bis zur Verabschiedung benötigt, hat der Regionalverband Ruhr den so genannten Teilplan „Regionale Kooperationsstandorte“ vorgezogen, mit dem der dringende Flächenbedarf für größere Industrieansiedlungen ab einer Größenordnung von fünf Hektar im östlichen Revier möglichst zügig gedeckt werden soll. Das Grundstück an der Nordlippestraße ist einer von 24 Standorten, die in diesem Plan festgelegt wurden. Am 12. Dezember wird im Bürgerentscheid darüber abgestimmt, ob die Stadt Werne die Planung für den nördlichen Teil der Fläche fortführt.
Parallel läuft das reguläre Verfahren zum Regionalplan weiter, in dem die Fläche zwischen Münsterstraße und Icopal im Zuge eines Monitoring-Verfahrens zur Ermittlung des kommunalen Bedarfs durch den RVR festgelegt wurde. Für größere Ansiedlungen, also auch für die großflächigen Expansionswünsche ortsansässiger Betriebe, scheidet das Grundstück unter anderem aufgrund der geringen Größe, aber auch durch weitere Einschränkungen wie eine Hochspannungsleitung und eine Gas-Pipeline zur Gasverdichterstation Ehringhausen aus.
Bürgermeister Lothar Christ bestätigte am Dienstag auf Anfrage von WERNEplus das laufende Verfahren für diesen Standort, das allerdings ausschließlich auf Ebene der Regionalplanung stattfinde und wie üblich öffentlich sei. „Es gibt derzeit keine kommunale Planung für diese Fläche“, sagte Christ. Eine Teilfläche sei bereits seit den 1990er Jahren als Gewerbegebiet in der damaligen Gebietsentwicklungsplanung ausgewiesen gewesen, im Zuge des Monitoring-Verfahrens sei nun vom RVR für die Stadt ein größerer Bedarf festgestellt worden, sodass diese Fläche im neuen Regionalplan bis zur Münsterstraße erweitert worden soll. Ob dieses Grundstück aufgrund der genannten Restriktionen für eine spätere Entwicklung durch die Stadt Werne tatsächlich in Frage kommt, müsse geprüft werden, wenn der Regionalplan verabschiedet ist. Zur Erinnerung: Auf der bereits als Gewerbegebiet gekennzeichneten Teilfläche war in den 1990er Jahren die Ansiedlung des Großhandelsunternehmens Metro geplant, die aber gescheitert ist.
Wie schon beim Kooperationsstand kritisierte die BIN auch diesmal die Informationspolitik der Stadt aufs Schärfste. „Leider hat es die Verwaltung erneut versäumt oder aus taktischen Gründen verschwiegen, die Öffentlichkeit über diesen Umstand zu informieren. Und zwar, um den geplanten Regionalen Kooperationsstandort an der Nordlippestraße sozusagen als letzte Chance für Werne vermitteln zu können“, wird Sprecher Axel Kersting in der BI-Pressemitteilung zitiert. Dem geplanten Industriegebiet sei mit dieser Nachricht wortwörtlich der Boden entzogen worden.
Die neue Entwicklung stelle das Argument der Befürworter infrage, den örtlichen Betrieben dürften keine Erweiterungsmöglichkeiten vorenthalten werden. Fakt sei, so Kersting, dass das Industriegebiet Nordlippestraße mit einer Gesamtfläche von gut 30 Hektar ausschließlich größeren Unternehmen mit einem Bedarf von mindestens fünf Hektar zugute komme. Außerdem werde in der Diskussion vernachlässigt, dass Werne noch „normale“ Gewerbeflächen für die Bedarfsentwicklung erhält. „Wir reden nach aktueller Erhebung von mindestens rund 11,4 Hektar neuer Gewerbefläche, die Werne für den lokalen Bedarf bzw. lokale Unternehmen über den Regionalplan, also nicht dem Bedarf für die Metropole Ruhr entsprechend, bekommen wird“, fährt Kersting fort. Der BIN-Sprecher beruft sich dabei als Quelle auf die Wirtschaftsförderung der Stadt Werne und auf den Regionalverband Ruhr.
„Wenn diese Fläche für die lokale Entwicklung dann nicht in einem sensiblen Gebiet mit hoher klimaökologischer Bedeutung für die Stadt geplant wird und dazu modernste Klimaschutzaspekte im Bebauungsplan festgeschrieben werden, wird sich der Widerstand in Werne gegen eine angemessene und transparente Planung vermutlich im Rahmen halten“, so der BIN-Sprecher. Für einen Regionalen Kooperationsstandort für Großbetriebe mit einem Flächenbedarf von mindestens fünf Hektar sieht Kersting in Werne allerdings keine Notwendigkeit: „Mit diesem Standort würden wir eindeutig ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie verlassen.“