Donnerstag, Februar 15, 2024

150 Jahre Nachbarn: Markus Klenner forscht zur Geschichte von Schlot 11

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Werne. Den einen war er ein Ärgernis, die anderen nahmen seine Existenz kaum noch zur Kenntnis: Der im Werner Volksmund Hühnerhof genannte Grundstücks- und Gebäudekomplex zwischen Busbahnhof, Intersport und Hornecenter.

Die Stadtverwaltung hatte schon seit Jahren ein Auge auf das Sahnestückchen in bester Innenstadtlage geworfen. Doch der Eigentümer wollte nicht verkaufen. Nach seinem Tod stimmten die Erben im März dieses Jahres dem Verkauf zu. Nun soll der Bereich völlig neu überplant werden – wie genau, wird derzeit geprüft.

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Markus Klenner hat ein ganz anderes Interesse an der alten Parzelle. Für ihn ist sie ein wichtiges Glied in seiner Familiengeschichte. „Ich bin ja ein Joseph-Funhoff-Schüler, was ich gerne und besonders betone“, sagt Klenner. Der kürzlich verstorbene langjährige stellvertretende Vorsitzende des Werner Heimatvereins brachte Klenner 1988 zur Ahnenforschung – als dieser gerade einmal 18 Jahre alt war. Jetzt, 35 Jahre später, verwaltet er einen genealogischen Datensatz, der etwa 12.000 Personen umfasst, darunter mehr als 1.200 direkte Vorfahren.

Auf dieser Luftbildaufnahme ist das Haus Nr. 6 (Schlot 11) samt Anbau als langgestreckter Fachwerkbau auf einem schmal geschnittenen Grundstück am Stadtrand (links im Bild) zu erkennen. Mit dem Namen „Hühnerhof“ bezeichnete der Werner Volksmund übrigens ursprünglich nicht das heute noch existierende Wohnhaus und Scheunengebäude, sondern nur den Altbau und den Restanbau aus Fachwerk. Dieser Gebäudekomplex sei, so Markus Klenner, laut Aussage der Familie Fohrmann vor etwa 20 Jahren abgerissen worden. - Foto: Archiv Familie Fohrmann
Auf dieser Luftbildaufnahme ist das Haus Nr. 6 (Schlot 11) samt Anbau als langgestreckter Fachwerkbau auf einem schmal geschnittenen Grundstück am Stadtrand (links im Bild) zu erkennen. Mit dem Namen „Hühnerhof“ bezeichnete der Werner Volksmund übrigens ursprünglich nicht das heute noch existierende Wohnhaus und Scheunengebäude, sondern nur den Altbau und den Restanbau aus Fachwerk. Dieser Gebäudekomplex sei, so Markus Klenner, laut Aussage der Familie Fohrmann vor etwa 20 Jahren abgerissen worden. Foto: Archiv Familie Fohrmann

Die Zeitungsberichte über den Verkauf des „Hühnerhofs“ lenkten seine Aufmerksamkeit auf ein Foto, dass er vor einigen Jahren von Josef Fohrmann erhalten hatte. Es handelte sich um eine Aufnahme des Hauses Werne Nr. 6 (heute Schlot 11) sowie eines Anbaus, in dem Klenners Großeltern Wilhelm Mors und Josephine Antonia Homann bis Ende der 1930er-Jahre gewohnt hatten. „Bis auf meine Mutter sind sämtliche Geschwister dort geboren“, erzählt Klenner. In der Familie sei immer mal wieder von dem Haus gesprochen worden. Seine älteste Tante habe erzählt, wie sie dort als Kinder gespielt hätten, seine Großmutter, wie klein die Wohnung gewesen sei, bis ihre Schwiegermutter Mitte der 1930er-Jahre auszog.

„Ich hatte allerdings nie ein Foto davon, wo meine Großeltern gewohnt haben. Irgendwann habe ich mit Josef Fohrmann Kontakt aufgenommen. Ich wusste ja, dass das Verwandtschaft ist. Er hat mir seine Ahnenforschung mit Fotos geschickt. Die Daten habe ich mit meiner Forschung abgeglichen. Allerdings hatte ich auf einem Foto den Anbau noch nicht richtig erkannt. Jetzt, mit dem Bericht, kam die Sache wieder hoch.“

Markus Klenner packte der „ahnenforscherliche Ehrgeiz“, wie er sagt. Er nahm mit Bernhard Fohrmann, dem Bruder von Josef Fohrmann, Kontakt auf. Von ihm erhielt er weitere Informationen und Bildmaterial. „Über die Kirchenbücher hab ich dann ein wenig die Vorbesitzerfamilie erforscht, wodurch sich dann der Zeitpunkt des Erwerbs schön eingrenzen ließ.“ Erstmals erwähnt wird das Haus Werne Nr. 6 im städtischen Brandkataster, einer Häuserliste, die 1777 begonnen und bis 1840 fortgeführt wurde (https://www.heimatverein-werne.de/files/1777-Haeuserliste_final.pdf). Da die Liste für die Ahnen- und Familienforschung sehr interessant ist – sie listet auf, welche Gebäude in Werne wem gehörten oder von wem sie bewohnt wurden –, hatte Josef Funhoff die schwer lesbare alte deutsche Schreibschrift vor einigen Jahren transkribiert.

1777 existierte Haus Nr. 6 bereits. Als Eigentümerin wird die Wittib, also die Witwe, des Georg Schlieff genannt. 1781 übernahm der Sohn Henrich Schlieff das elterliche Haus. Seine Mutter Anna Maria Schlieff war im Februar des Jahres an Fieber gestorben. 1799 taucht erstmals Johan Bernhard Hoppe, geboren um 1759, als Eigentümer auf. Er hatte am 23. Juni 1793 die Tochter von Henrich Schlieff, Anna Margaretha, geheiratet. Das Ehepaar lebte als Tagelöhner, wie Markus Klenner in der Bevölkerungsliste von 1810 ausmachen konnte. Dem entspricht die Lage ihres Hauses an der Innenseite der Werner Stadtmauer. Es handelte sich hierbei wohl um ein Gadem, also ein kleines Haus am Stadtrand, das von ärmeren Leuten wie eben Tagelöhner oder kleinen Handwerkern bewohnt wurde.

Die Eheleute Johann Wilhelm Mors (1867–1922) und Maria Bernhardine Friederike Weischenberg (1870–1936) lernten sich kennen, als Johann in Holzpantinen täglich von Werne zur Zeche Haus Aden wanderte.  Foto: Archiv Markus Klenner
Die Eheleute Johann Wilhelm Mors (1867–1922) und Maria Bernhardine Friederike Weischenberg (1870–1936) lernten sich kennen, als Johann in Holzpantinen täglich von Werne zur Zeche Haus Aden wanderte. Foto: Archiv Markus Klenner

Der 16-jährige Sohn Christopher Hoppe war Schusterlehrling. Nach dem Tod seiner Eltern verkaufte er das Gadem 1821 oder 1822 an Johann Henrich Wilking (1799–1853). Der neue Eigentümer stammte aus Werne. Er heiratete am 16. November 1824 die Bürgertochter Anna Maria Schwenniger. Das Paar hatte fünf Kinder, wie aus den Bevölkerungslisten der Stadt von 1840/1846 hervorgeht. Zwei der vier Töchter blieben auch nach ihrer Heirat auf dem Anwesen. Die älteste Tochter Bernardina (1826–1899) heiratete im September 1853 den Bürgersohn Johann Franz Gerhard Kroes (1821–1871); ihre Schwester Maria Anna (1833–1914) im Mai 1860 den aus Horst stammenden Tagelöhner Engelbert Mors (1827–1900). Sie wohnte in einem von ihrem Schwager erbauten Anbau links neben dem elterlichen Haus zur Miete, zwischen den Familien Leipzig (Nr.6a/später Schlot 11a) und Holtmann (Nr. 6c/später Schlot 11c).

1883 kam es erneut zu einem Besitzerwechsel im Haupthaus: Am 6. November des Jahres heiratete Maria Bernhardina Kroes (1862–1917), eine Tochter von Bernardina und Johann Kroes, den Anton August Fohrmann (1857–1917). Das Paar hatte acht Kinder. Eines von ihnen, der Eier- und Butterhändler Josef Fohrmann, erschien am 24. Januar 1939 in der Werner Stadtverwaltung, die damals ihren Sitz am Marktplatz hatte. „Jetzt wird es richtig spannend“, kündigt Klenner an. Gegenüber dem Stadtinspektor Josef Deipenbrock habe Fohrmann ein Kaufangebot über einen Teil seiner Grundstücke am Schlot abgegeben. Dazu gehörten die Mietshäuser der Familien Holtmann und Mors. „Grund des Angebots war der Bau der ,Straße der SA‘“, erklärt Klenner. Deren Verlauf hat sich bis heute weitgehend im Stadtbild erhalten; er folgt vom Kreisverkehr am Capitol-Cinema-Kino dem Konrad-Adenauer-Platz und der Bahnhofstraße. „Geplant war wohl eine Prachtstraße von der Stadtmitte bis zum Bahnhof, um siegreiche Truppen gebührend empfangen zu können“, vermutet die bisherige Eigentümerfamilie. Bis dahin führte der Weg von der Stadtmitte zum Bahnhof über Burgstraße, Kettelerstraße und Gutenbergstraße.

Auf dem obigen Foto sind die Eheleute Anton August Fohrmann und Bernhardina Kroes mit ihren acht Kindern zu sehen. Foto: Archiv Familie Fohrmann
Auf dem obigen Foto sind die Eheleute Anton August Fohrmann und Bernhardina Kroes mit ihren acht Kindern zu sehen. Foto: Archiv Familie Fohrmann

Ganz freiwillig sei das Kaufangebot wahrscheinlich nicht zustande gekommen, so Klenner. So ist in Paragraf 4 des Kaufangebots die Rede von „der an die Stadtgemeinde Werne zu übereignenden Grundfläche“; in Paragraf 9 heißt es, die für die „Straße der SA“ benötigte Grundfläche sei am 1. März 1939 zu übergeben. Also nach einer sehr kurzen Frist ab Vertragsabschluss, weil man offensichtlich zügig mit den Arbeiten beginnen wollte. Der damalige Bürgermeister der Stadt Werne, Dr. Georg Kraus, nahm das Kaufvertragsangebot am 28. Januar 1939 an. Die Übergabe der vereinbarten Fläche erfolgte vertragsgemäß am 1. März des Jahres. Nach dem Abriss des darauf stehenden Gebäudekomplexes bezogen die beiden Mietparteien Mors und Holtmann zwei Doppelhaushälften in der Breielstraße. In den 1960er-Jahren erwarben beide Familien jeweils ihre Haushälfte. Sie blieben bis in die Mitte der 2010er-Jahre Nachbarn.

Insgesamt hatten beide Familien etwa 150 Jahre nebeneinander gewohnt. Holtmanns waren die Nachfahren jener Mietpartei, die bereits nach 1860 neben Familie Mors im Anbau von Schlot Nr. 6/11 gewohnt hatte. Der einzige Sohn der Eheleute Engelbert Mors und Maria Anna Wilking, Johann Wilhelm Mors (1867–1922), heiratete am 21. November 1895 die aus Oberaden stammende Maria Bernhardine Friederike Weischenberg (1870–1936). „Johann Wilhelm war Schreiner, arbeitete aber später zuerst auf der Zeche Haus Aden und anschließend auf der Zeche Werne“, erzählt Markus Klenner. Aufgrund seiner Arbeit auf Haus Aden, zu der er jeden Tag in Holzschuhen gelaufen sei, habe er „ächter de Lipp“, wie es im Werner Volksmund heißt, seine spätere Frau kennengelernt.

Die kirchliche Hochzeit von Wilhelm Otto Mors und Josephine Antonia Homann am 28. April 1928.  Foto: Archiv Markus Klenner
Die kirchliche Hochzeit von Wilhelm Otto Mors und Josephine Antonia Homann am 28. April 1928.  Foto: Archiv Markus Klenner

Die Ehe war mit sechs Kindern gesegnet – darunter Klenners Großvater Wilhelm Mors (1906–1976). Er heiratete 1928 die aus Werne gebürtige Josephine Antonia Homann (1906–1999). Das junge Paar übernahm die Wohnung von Wilhelms Eltern am Schlot. Dort wurden vier ihrer fünf Kindern geboren. Nur die jüngste Tochter wurde 1942 in der Breielstraße geboren: Erika, die Mutter von Markus Klenner.

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