Donnerstag, März 30, 2023

Zielkonflikt: Ökostrom aus der Lippe kontra Ökologie und Artenvielfalt

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Wer­ne. Um die von einem Inves­tor geplan­te neue Was­ser­kraft­an­la­ge anstel­le des rund 100 Jah­re alten Lip­pe­wehrs in Sto­ckum ist ein veri­ta­bler Streit ent­brannt. Wäh­rend die einen die Nut­zung Was­ser­kraft als will­kom­me­nen Bei­trag zur Gewin­nung rege­ne­ra­ti­ver Ener­gie bewer­ten, sehen die ande­ren dar­in mehr öko­lo­gi­schen Scha­den denn ener­ge­ti­schen Nutzen.

Mit einem Invest von 3,5 Mil­lio­nen Euro will Dr. Micha­el Dete­ring, Ent­wick­ler der Groß­pro­jekts SCNCWAVE/SURFWRLD auf dem Gelän­de der ehe­ma­li­gen Zeche Wer­ne, anstel­le des Wehrs nahe dem Ger­stein­werk eine neue 400-Kilo­watt-Was­ser­kraft­an­la­ge errich­ten und so Ener­gie für den Betrieb des geplan­ten Frei­zeit- und For­schungs­stand­orts pro­du­zie­ren sowie gleich­zei­tig ins städ­ti­sche Netz einspeisen.

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Moder­ne Tur­bi­nen und eine Fisch­trep­pe sol­len den scho­nen­den Betrieb der Anla­ge mög­lich machen. „Mit dem Neu­bau­pro­jekt besteht die Chan­ce, sowohl kurz­fris­tig eine erheb­li­che öko­lo­gi­sche Ver­bes­se­rung der Lip­pe zu errei­chen als auch gleich­zei­tig ange­sichts der der­zeit ange­spann­ten Ener­gie­si­tua­ti­on drin­gend benö­tig­ten Öko­strom zu erzeu­gen“, erläu­tert Detering.

Beim Fische­rei­ver­band NRW, der nach eige­nen Anga­ben rund 250.000 Angel­fi­scher ver­tritt, und beim Lip­pe­ver­band stößt die­se Argu­men­ta­ti­on auf Wider­stand. Hier lehnt man den Neu­bau der Was­ser­kraft­an­la­ge in Sto­ckum nicht nur strikt ab, son­dern for­dert mit Blick auf die Arten­viel­falt und Schutz der Was­ser­fau­na auch den Rück­bau des vor­han­de­nen Wehrs. Der Emscher Lip­pe Genos­sen­schafts­ver­band (ELGLV) ist zustän­dig für das Fluss­ge­biets­ma­nage­ment an der Lip­pe, Auf­sichts­be­hör­de ist das NRW-Umweltministerium.

„An die­ser Stel­le ist der öko­lo­gi­sche Scha­den höher als der ener­ge­ti­sche Nut­zen. Wir sind gene­rell dagegen.”

Ili­as Aba­wi, Pres­se­spre­cher des Lippeverbandes

„An die­ser Stel­le ist der öko­lo­gi­sche Scha­den höher als der ener­ge­ti­sche Nut­zen“, umriss Pres­se­spre­cher Ili­as Aba­wi gegen­über WERN­Eplus die Posi­ti­on des Lip­pe­ver­ban­des. „Wir sind gene­rell dage­gen“, for­mu­lier­te er eine prin­zi­pi­el­le Absa­ge an den Betrieb klei­ne­rer Was­ser­kraft­an­la­gen an der Lip­pe. Mit Blick auf die Durch­gän­gig­keit des Gewäs­sers set­ze man sich des­halb für einen Rück­bau der Anla­ge ein, hieß es wei­ter. Ziel des Lip­pe­ver­ban­des sei es, die Arten­viel­falt nicht nur zu erhal­ten, son­dern auch zu fördern.

Durch die Stau­funk­ti­on wer­de das Was­ser ober­halb des Wehrs ange­hal­ten und so eine hydrau­li­sche Stö­rung ver­ur­sacht, erläu­ter­te der Pres­se­spre­cher. Über die grund­sätz­li­che Hal­tung des Lip­pe­ver­ban­des sei man in Gesprä­chen mit der Bezirks­re­gie­rung und dem Umwelt­mi­nis­te­ri­um und wei­se anhand von Daten und Para­me­tern im Sin­ne der Öko­lo­gie auf die Fol­gen hin. Die Fisch­wan­de­rung über eine Fisch­trep­pe umzu­lei­ten, sei hin­ge­gen nur eine Not­lö­sung, so Abawi.

Die Fisch­trep­pe am Lip­pe­wehr ent­spricht nicht mehr heu­ti­gen Anfor­de­run­gen an den Arten­schutz. Beim Neu­bau einer Was­ser­kraft­an­la­ge sol­len scho­nen­de Tur­bi­nen und eine Fisch­trep­pe für Durch­gän­gig­keit sor­gen. Foto: Gaby Brüggemann

Auch der Fische­rei­ver­band NRW mit Ansprech­part­ner Dr. Olaf Nie­pagenk­em­per hat­te ganz in die­sem Sin­ne die urspründ­li­che Novel­le des Erneu­er­ba­re-Ener­gien-Geset­zes (EEG) zum Schutz der Fische in einer Pres­se­mit­tei­lung begrüßt. „Die Zah­len spre­chen deut­lich gegen die wei­te­re För­de­rung und den Aus­bau der Klei­nen Was­ser­kraft“, hießt es darin.

Die Klei­ne Was­ser­kraft leis­te in Deutsch­land mit cir­ka 7.800 Anla­gen nur einen win­zi­gen Anteil von 0,5 Pro­zent an der Gesamt­strom­ver­sor­gung und tra­ge damit kaum zur Ener­gie­wen­de bei. Weh­re, Tur­bi­nen und feh­len­de oder man­gel­haf­te Fisch­we­ge stel­len aber ent­schei­den­de Ursa­chen dafür dar, dass Deutsch­land wesent­li­che Umwelt­zie­le im Bio­di­ver­si­täts- und Gewäs­ser­schutz deut­lich ver­fehlt, argu­men­tiert man beim Fische­rei­ver­band NRW und sieht den Ziel­kon­flikt zwi­schen Kli­ma­schutz und Artenschutz.

„Fische fol­gen bei ihren Wan­de­run­gen immer der Haupt­strö­mung und die­se führt sie zwangs­läu­fig vor die Tur­bi­nen.“ Die Mor­ta­li­tät bzw. Schä­di­gungs­ra­te der Fische sei bei einer Tur­bi­nen­pas­sa­ge sehr hoch, beruft sich der Ver­band auf wis­sen­schaft­li­che Untersuchungen.

Bei der Bun­des­re­gie­rung fand in Sachen Klei­en Was­ser­kraft inzwi­schen aller­dings ein Umden­ken statt und die Ein­spei­se­ver­gü­tung nach EEG wur­de auch für klei­ne­re Was­ser­kraft­an­la­gen wie­der installiert.

Dr. Michael Detering (links) informierte Bürgermeister Lothar Christ (rechts) und SPD-Landeschef Thomas Kutschaty (mitte) über die geplante Wasserkraftanlage in Stockum. Foto: Gaby Brüggemann
Dr. Micha­el Dete­ring (links) infor­mier­te Bür­ger­meis­ter Lothar Christ (rechts) und SPD-Lan­des­chef Tho­mas Kut­scha­ty (mit­te) im April 2022 über die geplan­te Was­ser­kraft­an­la­ge in Sto­ckum. Foto: Gaby Brüggemann

Für Dr. Micha­el Dete­ring ergibt sich durch die Was­ser­kraft­an­la­ge ein Mehr­wert nicht nur für die rege­ne­ra­ti­ve Ener­gie­ge­win­nung, son­dern auch für eine öko­lo­gi­sche Ver­bes­se­rung der Lip­pe. „Der Fische­rei­ver­band und der Lip­pe­ver­band sug­ge­rie­ren einen mög­li­chen Abriss der Wehr­an­la­ge. Prak­tisch ist dies aus fluss­bau­li­chen und aus eigen­tums­recht­li­chen Grün­den aber gar nicht mög­lich. Denk­bar wäre in eini­gen Jahr­zehn­ten der Ersatz der Wehr­an­la­ge durch eine so genann­te Raue Ram­pe oder auch Sohl­glei­te”, argu­men­tiert der Inge­nieur, der über 20 Jah­re Erfah­rung und Ver­ant­wor­tung in der Wasser‑, Ener­gie- und Umwelt­wirt­schaft sowie zahl­rei­che Paten­te in der Was­ser- und Umwelt­tech­nik vor­wei­sen kann.

Und Dete­ring wei­ter: „Eine Raue Ram­pe wer­de von Angel­ver­bän­den prä­fe­riert und bestehe aus einer Beton­plat­te, in die raue Stei­ne ein­be­to­niert sind. Eine sol­che sei für Fische aller­dings wesent­lich gefähr­li­cher und schäd­li­cher als sogar das Durch­schwim­men einer Was­ser­kraft­an­la­ge, ver­weist er auf die Stu­die von Pro­fes­sor Dr. Peter Rut­sch­mann (Lehr­stuhl für Was­ser­bau und Was­ser­wirt­schaft, TU München).

„Der Fische­rei­ver­band ver­brei­tet gezielt die fal­sche Behaup­tung, dass Fische in gro­ßem Umfang in eine Was­ser­kraft­an­la­ge schwim­men und dort verenden.”

Dr.-Ing. Micha­el Dete­ring, Lehr­stuhl und Insti­tut für Was­ser­bau und Was­ser­wirt­schaft RWTH Aachen

Die neue Was­ser­kraft­an­la­ge nut­ze hin­ge­gen das Ener­gie­po­ten­zi­al der Wehr­an­la­ge opti­mal aus. Was­ser­kraft habe dabei den gro­ßen Vor­teil, grund­last­fä­hig zu sein, d.h. sie erzeugt auch bei Wind­stil­le und Dun­kel­heit Ener­gie. Von Vor­teil sei dabei der beson­ders gleich­mä­ßi­ge Abfluss der Lip­pe. Für den Neu­bau sei eine beson­ders fisch­freund­li­che Tur­bi­ne vor­ge­se­hen, der ein Auf­stei­gen der Fische in die obe­re Lip­pe ermögliche.

„Der Fische­rei­ver­band ver­brei­tet gezielt die fal­sche Behaup­tung, dass Fische in gro­ßem Umfang in eine Was­ser­kraft­an­la­ge schwim­men und dort ver­en­den. Tat­säch­lich ver­mei­den Fische bewusst und aktiv Rechen und damit Was­ser­kraft­an­la­gen, suchen statt­des­sen einen ande­ren Wan­der­weg – auf­wärts und abwärts“, so Detering.

Unse­ren Arti­kel zum Streit um die Was­ser­kraft­an­la­ge im Müh­len­gra­ben lesen Sie hier.

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