Samstag, Juni 3, 2023

Sage vom Geschehen an Heiligabend: Der versunkene Kohueshof

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Wer­ne. Wie die Gott­lo­sig­keit und Bru­ta­li­tät eines Wer­ner Bau­ern auf gespens­ti­sche Art bestraft wur­de. Eine uralte Sage erzählt das unglaub­li­che Gesche­hen einer Hei­li­gen Nacht in der Bauernschaft.

Die nach­fol­gen­de Weih­nachts­sa­ge stand um 1935 in der „Wer­ner Volks­zei­tung“. Sie stammt aus dem Nach­lass von Alfons Ber­ke aus Lan­gern, der die­se Ver­si­on der Sage wahr­schein­lich auch ver­fasst hat. Unser frei­er Mit­ar­bei­ter Rai­ner Schulz hat sie vom inzwi­schen ver­stor­be­nen Kapu­zi­ner­pa­ter Pius Hege­mann, einem Jugend­freund Ber­kes, vor etwa 40 Jah­ren für sein pri­va­tes Archiv erhal­ten. Seit 1997, damals hat­te Schulz die Geschich­te in sei­nen Unterlagen wie­der­ent­deckt, geht er an jedem Hei­lig­abend vor der Besche­rung mit der Fami­lie sei­ner Toch­ter ins Kohuesholz und auch an der Stel­le vor­bei, wo der Hof nach Erzählungen von Geschichts­ken­nern gele­gen haben soll.

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„Wir neh­men dann immer einen klei­nen Weih­nachts­zweig aus dem Kohues­holz mit nach Hau­se, ohne den unser festlich gedeck­ter Weih­nachts­tisch nicht kom­plett wäre“, erzählt Rai­ner Schulz und fährt fort: „Wie folgt wur­de die Geschich­te von mir zu Weih­nach­ten 2007 – mit nur geringen begriff­li­chen Ände­run­gen – erneut veröffentlicht“:

„Heu­te noch, wenn die Leu­te im Dun­kel des Abends über den Voß­patt gehen, berührt sie ein Schau­er, der zwi­schen den Bäu­men weht und sich hin­ter dem dich­ten und düsteren Strauch­werk ver­bor­gen hält. Kohues­holz ist dann still und stumm, und alles, was hier lebt und webt, ist selt­sam scheu und flüch­tig. In den Hei­li­gen Zwölf­näch­ten* aber rumort und rauscht es in den alten Bäu­men, in Strauch und Strupp, dass alles sich selt­sam has­tig bewegt, und die Tau­ben ducken sich laut­los und ängst­lich har­rend auf die lee­ren fla­chen Nes­ter. Die Bau­ern aber schlie­ßen Tür und Fens­ter und sit­zen schwei­gend um das schwe­len­de Feuer.

Kaum getraut man sich auf den Hof und in den Stall hinaus, bei­lei­be aber nicht ins Holz; denn man hat erzäh­len hören: Einer, der in nächt­li­cher Stun­de sei­nen Weg durchs Holz daher ging, sei von einem durch unsicht­ba­re Hand geschleu­der­ten Aste getrof­fen und zu Boden gewor­fen wor­den, so dass er näch­tens im Dun­kel und ohne priesterlichen Bei­stand sein Leben ver­bü­ßen muss­te. Und noch heu­te kann man, wenn man des spä­ten Abends am knisternden Herd­feu­er sitzt und die Ohren dazu wach hält, deut­lich ver­neh­men, wie eine Stim­me über­mensch­li­cher Art drau­ßen im Win­de immer­zu ruft und ruft: „Oh Wunner, oh Wun­ner, watt ligg dao woul unner?“*, und die es noch wis­sen, den­ken dann, dass die Win­des­stim­me das Kohues­holz meint, den tie­fen und dunk­len alten Wald nicht weit von dem alters­grau­en Schloss Cap­pen­berg, das aus sei­nen gespens­ti­schen nächt­li­chen Mau­ern nur ab und zu ein Licht­lein in die Dun­kel­heit der Zwölf­näch­te hinausscheinen lässt.

An die­ser Stel­le soll der Hof nach Erzäh­lun­gen von Geschichts­ken­nern gele­gen haben. Foto: Rai­ner Schulz

So aber geht die Sage: An der Stel­le, wo heu­te der Wald des Kohues­holz steht, waren einst wei­te Acker­brei­ten voll guter Saat und Ern­te, saf­ti­ge Wei­den und Wie­sen, auf denen gesun­des Vieh in Men­ge ging und wei­de­te. Und inmit­ten all des Reich­tums lag der Hof des Kohues­bau­ern. Blitzblank waren Stu­be und Stall und die schwe­ren Bal­ken trugen manch Reich­tum in ihren Kam­mern; alles war berei­tet zu einem glück­li­chen Leben. Den­noch aber gewahr­te man nie­mals ein freund­li­ches Lachen bei Knecht oder Magd, bei Bau­ern oder Bäue­rin, bei Vater oder Kind. Nie erklang ein fröh­lich Lied oder ein lie­bes Wort. Alles Gesin­de auf dem Kohues­ho­fe tat mit Scheu sein Werk. Und selbst die Hun­de gin­gen geduckt an den Mau­ern vor­bei; alle Nächte aber began­nen sie so mark­erschüt­ternd zu heu­len, dass weit­hin Bau­ern und Köt­ter und alle christ­li­chen Leu­te erschauerten.

Mehr aber noch drang der kal­te Schau­er in sie, wenn es am Kohues­ho­fe still und stumm war in der Nacht; denn dann ging der Bau­er auf dem Hofe umher, und sogar die Hun­de ver­kro­chen sich dann in den Hüt­ten, da sie sei­ne Peit­sche fürch­te­ten. Auch am Tage war jedes Mal, wenn der Bau­er über den Hof kam, alles wie aus­ge­stor­ben: Die Knech­te sahen bei ihrer Arbeit unter den Schul­tern her und beob­ach­te­ten ihn, woher er kam und wohin er ging. Und die Mäg­de husch­ten schnell in den Stall oder auf Kam­mer und Ten­ne und mach­ten sich dort zu schaf­fen, wo der Bau­er nicht war. Traf aber einer unver­se­hens mit ihm zusam­men, so hat­te er immer ein schimpf­li­ches Wort bereit und einen schreck­li­chen Fluch, so dass der gan­ze Hof sich bekreuzigte und alle sich ver­bar­gen. Dann aber geriet der Kohuesbauer in eine ent­setz­li­che Wut, so dass er mit der Peit­sche das gan­ze Haus vom Dach bis zur Ten­ne durch­such­te und schlug, wer sich ver­bor­gen hat­te. Und sicher­lich wären längst alle Knech­te und Mäg­de fort­ge­lau­fen, wenn nicht der Bau­er des Gel­des zuviel gehabt und reich­lich in blinkender Mün­ze gelohnt hätte.

Zur Christ­nacht, wenn weit und breit alles Gesin­de einen Fei­er­tag hat­te, um in der Cap­pen­ber­ger Klos­ter­kir­che der Met­te bei­zu­woh­nen, begann alle Jah­re auf dem Kohueshofe ein wil­des Leben; denn ver­ruch­ter und sonntagsschänderischerweise hat­te der Bau­er sich die­sen Tag für das Dre­schen sei­nes Korns vor­be­hal­ten. Dann trieb er alles Gesin­de auf den Hof und stand selbst mit der Peit­sche dabei, und jeder gute und schlech­te Hand­griff, den einer tat, wur­de mit Fuß­trit­ten, Peit­schen­hie­ben und wil­den Flü­chen ent­weiht. Schon oft­mals waren die Her­ren Patres aus dem Klos­ter Wer­ne gekom­men, um des Bau­ern Herz umzu­stim­men; aber mit Peit­sche und Hun­den hat­te er sie vom Hofe gewie­sen, dass sie durch die Wäl­der eilends zurückliefen und sich so oft bekreuz­ten, als sie sein wil­des Flu­chen noch hören konnten.

In einem Jah­re aber zog wie­der die Christ­nacht ins Land. Eine wun­der­ba­re Räu­he hat­te sich auf die Erde gebrei­tet, und durch die Fens­ter der klei­nen Häus­chen sah man trau­lich den Weih­nachts­baum schim­mern. Andäch­tig und beson­nen stie­gen von allen Sei­ten die Leu­te zum Klos­ter hin­auf, um die hei­li­ge Christ­nacht zu fei­ern. Die aber über die Stra­ße kamen, die von Wer­ne nach Selm führt, lei­te­te der Weg dicht am Kohues­ho­fe vor­bei. Vom Klosterkirchlein rief lieb­lich und lei­se das Turm­glöck­chen in die stil­le Nacht hin­aus. Vom Kohues­ho­fe aber hör­te man wie­der­um das Schla­gen der Dresch­fle­gel, das Heu­len der Hun­de und das wil­de Flu­chen und Toben des Bau­ern; ja, jedes Mal wenn ein lei­ser und leich­ter Wind­stoß den mah­nen­den Ruf des alten Klos­ter­glöck­leins her­über­weh­te, begann der Bau­er umso stär­ker zu toben und umso lau­ter zu flu­chen und zu schimp­fen, und nicht sel­ten war unter sei­nen Wor­ten gar eine erschreck­li­che Got­tes­läs­te­rung zu vernehmen. Und die nächt­li­chen Kirch­gän­ger schlu­gen ein Kreuz und eil­ten raschen Fußes wei­ter zur Mette. 

Und als die fei­er­li­che Stun­de been­det, kehr­ten sie zurück in ihre trau­li­che Woh­nung unter den Weih­nachts­baum. Doch als sie in die Nähe des Hofes kamen, erschau­er­ten sie und schlu­gen ihre Män­tel auf, um nicht das got­tes­läs­ter­li­che Tun und Flu­chen auf dem Hofe zu ver­neh­men. Nicht wenig erstaunt aber waren sie, als sie kei­nen Laut mehr ver­nah­men. Und schon glaub­ten sie, dass es dem Mönch aus Wer­ne bei einem letz­ten Ver­such heu­te gelun­gen sei, des Bau­ern Herz zu erwei­chen, und woll­ten gar schon dem Herr­gott ein Dank­ge­bet sagen für die Bekeh­rung des ruch­lo­sen Sün­ders. Und sie gin­gen in der dunk­len Stil­le auf den Hof zu. Da sie aber dort­hin kamen, fan­den sie kei­nen Hof mehr und kein Haus, kei­nen Stall und kei­ne Stu­be, kei­nen Knecht und kei­ne Magd, kei­nen Herd und kei­nen Hund, kei­ne Kuh und kein Kind, nicht ein­mal einen Stock oder einen Stein.

Mit all sei­nem Gefach und Gemäu­er und all sei­nem Gesinde war der Kohues­hof in der Erde ver­sun­ken. Nur an weni­gen Stel­len noch sah man leich­te Hügel, unter denen man noch die Firs­te der Gebäu­de zu erken­nen vermeinte. Im Gra­se und der fri­schen Kru­me aber sah man schon weit und breit wild und wuls­tig Strauch und Strupp und zahl­rei­che Bäu­me sprießen.

Dann begann es plötz­lich in den Bäu­men zu heu­len und zu jau­len. Und man ver­nahm deut­lich, wie ein mäch­ti­ges Brau­sen immer­zu rief „Oh Wun­ner, oh Wun­ner, watt ligg dao woul unner ?“* Da mach­ten sich die Leu­te rasch auf und davon, eil­ten nach Hau­se und setz­ten sich an den Herd um sich zu wär­men, Fens­ter und Türe aber verschlossen sie dicht und fest, saßen still und schwei­gend und lausch­ten auf die Win­des­stim­me in der Nacht, die ohne Unter­laß rief: „Kooo­huuues, Kooohuuues …“.

Und seit­dem ging man nur mit Scheu durch den Wald, der dort wuchs. Der aber wuchs immer höher und dichter. Und wenn man abend­lich durch ihn gehen muss und auf­merk­sam ist, so gewahrt man, wie alle Lebe­we­sen hier selt­sam scheu und flüch­tig sind und wie der Wald so still und stumm ist. Nur in den Zwölf­näch­ten, da rumort und rauscht es in den alten Bäu­men, in Strauch und Strupp, dass alles sich selt­sam hef­tig bewegt, und die Tau­ben ducken sich laut­los und ängst­lich har­rend auf ihre Nes­ter. Der Wald aber, wel­cher an jener Stel­le wuchs, heißt heu­te
noch: Kohues­holz.

Eini­ge Erläu­te­run­gen zu der Sage

Zunächst zum Wahr­heits­ge­halt: Sagen haben irgend­wie immer eine wah­re Bege­ben­heit als Grund­la­ge, die im Laufe der Jahr­hun­der­te durch wei­te­re Aus­schmü­ckun­gen zur Sage wird. In die­sem Fall hat es tat­säch­lich vor vie­len Jahren einen Bau­ern namens Kohues gege­ben – das ist aktenkundig. Der Hof des Kohues­bau­ern soll an der Verlängerung des heu­ti­gen Weges „Kohues­holz“, der in Varn­hö­vel von der Sel­mer Stra­ße links abgeht und in einen Wald, das „Kohues­holz“, führt, gele­gen haben. Im Wald erreicht man nach unge­fähr 150 bis 200 Schrit­ten eine Stel­le, an der linkerhand ein Hof gele­gen haben muss. 

Geht man etwas tie­fer in den Wald hin­ein, so kann das geüb­te Auge hier zumin­dest noch die Umris­se einer Gräf­te, wie sie in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten zu vie­len grö­ße­ren Anwesen gehör­te, erkennen.

Mit „Voß­patt“ ist wahr­schein­lich die frü­he­re volkstümliche Bezeich­nung des Weges durch das heu­ti­ge Kohues­holz gemeint. 

Die „Hei­li­gen Zwölf­näch­te“ (die Zwölf­ten, Rauhnächte, Duo­de­cim noc­tes), das sind die Näch­te zwi­schen dem 25. Dezem­ber und 6. Janu­ar, eine hei­li­ge, fest­li­che und bei fast allen Völ­kern und in allen Reli­gio­nen, nament­lich bei den Ger­ma­ni­schen Völ­kern, bedeut­sa­me Zeit, weil damit die Win­ter­son­nen­wen­de ein­trat und das erneu­te Leben und Wir­ken der Natur­kräf­te begann. Das heu­ti­ge Kohuesholz wur­de ursprüng­lich „Kohues Holt“ genannt. Dar­aus wur­de im Lau­fe der Zeit „Kohues­holz“.

* Oh Wun­der, oh Wun­der, was liegt wohl dar­un­ter? / Eine zwei­te Version der Sage stellt die Bege­ben­hei­ten in einem ande­ren Licht dar. Wir wer­den sie zur gege­be­ner Zeit eben­falls wie­der veröffentlichen.

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