Stockum/Werne. Barrikaden auf der einen, weiße Fahnen auf der anderen Seite: Als der Zweite Weltkrieg vor 80 Jahren seinem Ende zuging, reagierten die Menschen in Deutschland unterschiedlich. Unverbesserliche wollten bis zuletzt kämpfen, andere reagierten pragmatisch und akzeptierten das Unvermeidliche. In Stockum gab es beides, wie Georg Laurenz aus der Familienchronik berichtet.
Der Krieg endet in Stockum am Ostersamstag, der damals auf den 31. März fiel. Bereits am Karfreitag rückten US-amerikanische Truppen vom Rhein in Richtung Hamm vor. Ihr Plan war, das Ruhrgebiet zangenförmig zu umschließen. Im Norden bewegten sich die Truppen durchs Münsterland. „Am Karfreitag kam ein Mädchen aus dem Dorf auf den Hof meines Großvaters, Heinrich Schulze Blasum, gelaufen und rief ihm zu, junge Leute hätten bei der Gaststätte Tingelhoff eine Barrikade errichtet“, erzählt Georg Laurenz.
Seinem Großvater sei sofort klar gewesen, dass dieser Versuch, die Amerikaner aufzuhalten, das Dorf in Gefahr brachte. „Die Soldaten hätten nicht nur die Barrikaden, sondern den ganzen Ort zerschossen.“ Schulze Blasum eilte in den Ort, verhandelte mit den Rädelsführern und erreichte, dass diese die Straßensperre wieder abbauten. „Mein Großvater hatte bereits im Ersten Weltkrieg gekämpft und war im Zweiten Weltkrieg als Major dafür verantwortlich, Pferde für die Armee zu rekrutieren“, so Laurenz weiter. Der hohe Rang habe ihm wahrscheinlich geholfen, sich schnell bei den Barrikadenbauern Respekt zu verschaffen.
Anderntags, als die Amerikaner fast schon vor Ort waren, gingen Heinrich Schulze Blasum und sein Treckerfahrer Karl Wittmeyer frühmorgens auf einen Acker westlich vom Hof. Die beiden Männer kannten sich bereits aus dem Ersten Weltkrieg. Als der zu Ende war, habe Wittmeyer nicht gewusst, wohin, erinnert sich Georg Laurenz. „Mein Großvater hat ihn dann mit zu sich auf den Hof genommen.“ Nun erlebten sie erneut das Ende eines katastrophalen Krieges. Auf dem Acker hissten sie ein Bettlaken als weiße Fahne, um eine kampflose Übergabe zu signalisieren.

Im Nacken saß beiden Männern die Sorge um Flakhelfer und Soldaten der Wehrmacht, die auf dem Gelände des Hofes Schulze Blasum stationiert waren. „Es gab dort eine große Flugabwehrkanone, die das Gersteinwerk schützen sollte“, erklärt Georg Laurenz. Schulze Blasum und Wittmeyer wussten nicht, wie die deutschen Soldaten auf die vorrückenden Amerikaner reagieren würden. Doch ihre Sorge war unbegründet. Als sie auf den Hof zurückkehrten, waren die Feldgrauen bereits über die Herringer Brücke abgezogen. Von den Flakhelfern allein – Jungen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren – ging keine Gefahr aus. Laurenz: „Mein Großvater hat sie entsprechend eingenordet.“
Der Einmarsch der Amerikaner hielt die Stockumer am Ostersonntag nicht davon ab, die Messe in der Kirche St. Sophia zu besuchen. Auch Heinrich Schulze Blasum, seine Frau und seine Töchter gingen in den Gottesdienst. Plötzlich, so erzählt Laurenz, habe sich die Tür geöffnet und zwei amerikanische Soldaten mit Maschinengewehren hätten seinen Großvater abgeführt. Sie setzten ihn auf ihren offenen Jeep und fuhren zum Hof. Dort eröffneten sie ihm in gebrochenem Deutsch, er solle das Amt des Bürgermeisters übernehmen. „Macht was ihr wollt“, sagte Schulze Blasum, der des Englischen mächtig war, „aber holt zuerst meine Frau und meine Töchter aus der Kirche, die sterben da vor Angst.“
Ein paar Tage lang bezogen die Amerikaner dann auf dem Hof Quartier. „Sie konnten sich im Haus duschen und rasieren und wurden von meinen Großeltern bewirtet, auch mit einem Schnaps“, sagt Laurenz. Die Amerikaner revanchierten sich, indem sie Seifenstücke und Rasierklingen im Haus „vergaßen“. Offiziell hätten sie den Deutschen nichts geben dürfen. So aber zollten sie ihren Respekt für den höflichen Umgang.
Mehr zum Kriegsende vor 80 Jahren in Stockum lesen Sie am Ostermontag bei WERNEplus.