Donnerstag, März 28, 2024

„Wir wollen weder rauchende Schlote noch einen Freizeitpark“

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Werne. Am 12. Dezember entscheiden die Wahlberechtigten der Stadt Werne in einem Bürgerentscheid, ob an der Nordlippestraße die Planung für ein neues Industrie- und Gewerbegebiet fortgeführt werden soll.

Im Gespräch mit WERNEplus erklärt Bürgermeister Lothar Christ, warum die Stadt dieses Gewerbegebiet entwickeln will und wie diese Planung aus seiner Sicht mit dem Klimaschutz vereinbart werden kann. Er nimmt auch zum massiven Protest gegen den Standort Stellung. Sein Wunsch: Möglichst viele Bürger sollen sich am 12. Dezember an der demokratischen Entscheidung beteiligen. Der Sprecher der Bürgerinitiative (BIN), Axel Kersting, hatte sich bereits vor einigen Tagen im Interview über die Gründe für den Widerstand gegen die Planungen geäußert.

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Die Stadt Werne beabsichtigt bereits seit Jahren die Entwicklung eines neuen Gewerbegebietes. Gewünschter Standort war am Autohof. Nun ist in der Regionalplanung die Fläche am Kreisverkehr Nordlippestraße/Münsterstraße festgelegt. Ist das für Sie zweite Wahl?

Ein Standort direkt an der Autobahn wäre mir lieber gewesen. Aber der Landesentwicklungsplan lässt eine gewerbliche Entwicklung dort nun mal nicht zu.

Das Gewerbegebiet stößt auf erheblichen Widerstand in der Bevölkerung. Haben Sie mit diesem massiven Protest gerechnet?

Bislang wurden Gewerbegebietsentwicklungen in Werne nicht oder kaum kritisiert. Die positiven Wirkungen standen im Fokus. Dieser Fokus hat sich verändert. Wichtig ist, dass man beide Seiten im Blick hat und betrachtet.

Liegt der Widerstand auch darin begründet, dass die Stadt es versäumt hat, die Bürger rechtzeitig und umfassend über die Pläne zu informieren. Zum Beispiel darüber, dass die in der Regionalplanung festgelegte südliche Fläche am Grünen Winkel nicht angetastet werden soll?

Dass der Informationsbedarf bereits vor Beginn eines Planungsverfahrens so groß ist, ist neu, aber auch verständlich. Deshalb müssen wir bei sensiblen Fragen früher mit den Informationen für die Öffentlichkeit anfangen.

Am 12. Dezember werden die Wahlberechtigten im Bürgerentscheid über das Gewerbegebiet abstimmen. Wie finden Sie das?

Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind wichtige Instrumente unserer Kommunalverfassung. Unsere Aufgabe ist es dabei, dass die Bürger die Möglichkeit haben, sich gut und sachlich zu informieren.

Der Rat hat, bis auf die Grünen, das mit mehr als 5000 Unterschriften unterlegte Bürgerbegehren abgelehnt und für die Entwicklung der nördlichen Fläche gestimmt. Warum braucht Werne dieses neue Gewerbegebiet?

Klimaschutz und Wirtschaft dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es gilt nicht „entweder oder“. Wirtschaftliche Entwicklung sichert nicht nur Arbeitsplätze und Steuern, sondern ist auch unabdingbar notwendig für einen gelingenden Klimaschutz. Denken wir mal an die vielen Firmen, die im Bereich regenerativer Energien oder effizienten Bauens tätig sind oder an die anspruchsvolle Aufgabe, industrielle CO2-Ausstöße drastisch zu reduzieren. Ohne neue Technologien und Entwicklungen kann der Weg hin zur Klimaneutralität im Jahr 2045 nicht gelingen.

Die Bürgerinitiative zeichnet ein Bild von rauchenden Schloten, in den Broschüren der Wirtschaftsförderung sieht das Gewerbegebiet eher wie ein Freizeitpark aus, in dem man sonntags mit der Familie spazieren geht. Liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte oder glauben Sie wirklich, dass dort tatsächlich ein klimaneutrales Gewerbegebiet entstehen kann?

Wir wollen weder rauchende Schlote noch einen Freizeitpark, sondern verantwortungsvolle Unternehmen, die sich wirklich anstrengen, so viel wie möglich von den aufgezeigten Beispielen umzusetzen; angefangen bei Photovoltaikanlagen über Grünbedachung bis zur Nutzung von Erdwärme.

Bunte Pläne sind schön. Wer garantiert denn den Bürgern, dass alle planerischen Vorgaben bei der späteren Umsetzung auch tatsächlich eingehalten werden?

Dazu gibt es eine Reihe von wirksamen Instrumenten, wie zum Beispiel Bebauungsplanfestsetzungen, deren Umsetzung nachzuweisen ist, Auflagen in Baugenehmigungen oder auch Vertragsstrafen.

Die Bürgerinitiative befürchtet, dass der Standort Werne ausschließlich dazu dient, den Flächenbedarf des Ruhrgebietes zu decken. Und sie bezweifelt, dass die Stadt Werne die Ansiedlungen von Unternehmen selbst steuern wird. Was sagen Sie dazu?

Es geht zwar um regionale und nicht lokale Flächenbedarfe. Das heißt aber nicht, dass die Wirtschaft vor Ort nichts davon hat. Wir haben auch Werner Firmen, die größere Flächen anfragen oder die in Kooperation ein großes Grundstück kaufen können. Wer dort hinkommt, entscheidet letztlich der Rat oder ein städtischer Ausschuss.

Und wie beurteilen Sie das Argument der Gegner, dass Werne beim Flächenverbrauch für Gewerbegebiete schon über dem Landesdurchschnitt liegt, ebenso wie bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer, und dass es deshalb keine Notwendigkeit für weitere Industrieflächen gibt?

Wir können nicht sagen, dass wir 5,0 Prozent Arbeitslosigkeit erreicht haben und dabei bleibt es. Mit den Steuern ist es genauso. Wenn wir der Wirtschaft keine Entwicklungsmöglichkeiten geben, können die Dinge über kurz oder lang auch schnell anders aussehen. Die großen Gewerbesteuerzahler mit vielen Arbeitsplätzen von vor 20 Jahren sind nicht mehr dieselben wie die von heute.

Das Gewerbegebiet sieht Ansiedlungen in einer Größe ab 50.000 Quadratmeter vor. Mit der Firma Hella gibt es auch schon einen Interessenten aus Werne. Doch wo finden kleinere Unternehmen aus Werne Platz für eine Betriebsvergrößerung?

Dass auch kleinere Unternehmen Bedarfe für ihre Entwicklungen haben, ist unbestritten. Da haben wir in den vergangenen Jahren auch viel getan. Das ist aber kein Argument gegen die Unternehmen mit größeren Bedarfen. Der entsprechende (Gesamt-)Regionalplan, der zurzeit noch im Verfahren ist, hat unter anderem die Aufgabe, die lokalen Bedarfe zu verorten.

Zur Debatte steht derzeit die nördliche Fläche des in der Regionalplanung festgelegten Kooperationsstandortes mit einer Fläche von rund 30 Hektar. Können sich die Bürger auf das Versprechen verlassen, dass in Zukunft die südliche Fläche am Grünen Winkel nicht doch noch in Anspruch genommen wird, wenn weiterer Bedarf für neue Gewerbeflächen besteht?

Sie können sich auf diesen Bürgermeister und sicher auch auf diesen Stadtrat verlassen. Versprechen für spätere Nachfolger abgeben, kann man nicht. Aber wir sind doch einig, dass die südlichen Flächen nicht für gewerbliche Überplanung angegriffen werden dürfen. Ich glaube nicht, dass sich ein Politiker daran die Finger verbrennen würde.

Was sind die Konsequenzen, wenn das Gewerbegebiet beim Bürgerentscheid durchfällt?

Dann ist das eine legitime und vollends zu respektierende Entscheidung. Dann werden wir unsere Arbeit auf alles andere konzentrieren, was wir in Werne erreichen wollen.

Herr Christ, Sie sind Sportfan. Ihr Tipp: Wie werden sich die Bürger am 12. Dezember entscheiden?

Das ist ja kein Wettbewerb, sondern es geht um einen Entscheidungsweg. Ich glaube, dass es eine enge Entscheidung wird und hoffe, dass genügend Menschen abstimmen werden.

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1 Kommentar

  1. „Stimmen Sie für die Zukunft unserer Stadt“ wirbt „Wir für Werne“ derzeit auf allen Kanälen für die Fortsetzung der Planungen für das Gewerbe- und Industriegebiet Nordlippe. Damit suggeriert der Verein bewusst, dass alle, die sich gegen diese Planung aussprechen, Werne als attraktive Kommune, als Gewerbestandort … die Zukunft verbauen.
    Diese Unterstellung macht uns richtig sauer. Denn bereits seit Bekanntwerden der Pläne für das Gebiet Nordlippe verärgert uns am meisten, dass im Rat der Stadt Werne vor allem Menschen jenseits der Lebensmitte (denn immerhin sind mindestens 60 Prozent aller Ratsmitglieder älter als 50 Jahre) weitreichende Entscheidungen für die Zukunft unserer Stadt treffen, die sie selbst gar nicht mehr erleben werden.
    Natürlich kann man – wie Wir für Werne es tut – argumentieren, dass man ja „das Beste“ gerade für die zukünftigen Generationen möchte. Dass man gerade jungen Leuten Ausbildungs- und Arbeitsplätze sichern und eine schuldenarme Kommune mit guten Einnahmemöglichkeiten „vererben“ möchte. Dass diese Argumente ganz gewaltig hinken, hat BIN ja bereits hinreichend dargestellt. Deshalb möchten wir hier auch nicht näher darauf eingehen.
    Wir, die künftige Generation, setzen ganz andere Prioritäten. Fragt ihr in unserer Familie die jungen Familienmitglieder und unsere Freunde, so ist es am wichtigsten, dass wir überhaupt noch eine lebenswerte Umwelt haben. Dass es saubere Luft zum Atmen, sauberes Wasser zum Trinken und Zugang zu gesunden, schadstofffreien Lebensmitteln zu Preisen, die sich alle leisten können, gibt. Uns jungen Familienmitgliedern ist es wichtig, dass wir und unsere Kinder überhaupt die Chance auf eine Zukunft ohne Klimakatastrophen, wie wir sie im Sommer diesen Jahres erleben durften, haben. Wir hoffen wenigstens auf die Erreichung des 1,5 Grad-Ziels – die des 1,0 Ziels ist ja bereits utopisch – und wissen, dass mit Planung weiterer Flächenversiegelungen, Erwärmung durch noch mehr Industrieanlagen, Erhöhung des Verkehrsaufkommens … Werne einen Anteil dazu beiträgt, dieses noch unerreichbarer zu machen.
    Drei von uns leben noch in Werne, wir anderen beiden möchten irgendwann Werne wieder zu unserem Lebensmittelpunkt machen. Alle fünf wünschen wir uns eine Zukunft in einem lebenswerten Werne, dass durch seine Naherholungsflächen, seine gute Infrastruktur, seine engagierten Menschen und auch durch seinen Beitrag zum Klimaschutz zum LEBEN und nicht nur zum Arbeiten einlädt! Wir jungen Menschen brauchen überhaupt die Chance auf eine Zukunft und keine Menschen jenseits der Lebensmitte, die uns sagen, was „das Beste“ für uns ist!
    Darum bitten wir alle wahlberechtigten Menschen in Werne am 12.12. für unsere Zukunft mit JA gegen das Gewerbe- und Industriegebiet zu stimmen!

    Johanna Winkelmann (25), Clara Winkelmann (23), Frederik Winkelmann (22), Herbert Winkelmann (64) und Margaretha Winkelmann (57)
    Marburg, Heidelberg und Werne, Ambrosiusweg 25

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