Freitag, März 31, 2023

1935: Neue Satzung sichert NSDAP Einfluss auf Verwaltung

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Wer­ne. Am Sonn­tag ist Wahl­tag in NRW. Land­rä­te, Ober­bür­ger­meis­ter, Bür­ger­meis­ter, Stadt- und Gemein­de­rä­te wer­den direkt von den Bür­gern gewählt und sol­len in der neu­en Legis­la­tur­pe­ri­ode die Geschi­cke in den Kom­mu­nen len­ken. Vor 85 Jah­ren hin­ge­gen, im Som­mer 1935, besie­gel­te der dama­li­ge Kreis­lei­ter der Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Arbei­ter­par­tei (NSDAP) in Lüding­hau­sen, Karl Tos­se, mit sei­ner Unter­schrift unter die Haupt­sat­zung der Stadt Wer­ne das vor­läu­fi­ge Ende der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tung vor Ort. So wur­den die Rats­mit­glie­der bei­spiels­wei­se nicht mehr von den Bür­gern gewählt, son­dern von Par­tei­be­auf­trag­ten beru­fen. Über der Namens­lis­te der zwölf Rats­her­ren stand mit Datum 1. Okto­ber 1935 dem­nach zu lesen: „Nach­wei­sung der durch den Beauf­trag­ten der NSDAP beru­fe­nen Ratsherren“.

Das Blatt ist Teil einer bis­lang unbe­kann­ten Akte ohne Titel, die die His­to­ri­ke­rin und Stadt­ar­chi­va­rin Susan­ne Maetz­ke im Archiv der Stadt Wer­ne ent­deckt und neu inven­ta­ri­siert hat. Die Zeit­do­ku­men­te wer­fen ein Schlag­licht auf die Ein­füh­rung der Deut­schen Gemein­de­ord­nung (DGO) im Janu­ar 1935, die den vor­läu­fi­gen Bruch mit der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tungs­tra­di­ti­on des 19. Jahr­hun­derts darstellte.

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Im Gespräch mit WERN­Eplus beleuch­tet die His­to­ri­ke­rin, wie sich in Wer­ne der Ein­fluss der NSDAP in der Ver­wal­tung voll­zog und die kom­mu­na­le Selbst­ver­wal­tung de fac­to aus­ge­he­belt wur­de. Maetz­ke zitiert den Para­graph 6 der DGO von 1935: „Zur Siche­rung des Ein­klangs der Gemein­de­ver­wal­tung mit der Par­tei wirkt der Beauf­trag­te der NSDAP bei bestimm­ten Ange­le­gen­heit mit“. Solch eine Ein­fluss­nah­me einer Par­tei auf die kom­mu­na­le Selbst­ver­wal­tung habe es bis dahin noch nicht gege­ben, ord­net die His­to­ri­ke­rin ein.

Liste der von der NSDAP berufenen Ratsherren. Foto: Gaby Brüggemann
Lis­te der von der NSDAP beru­fe­nen Rats­her­ren. Foto: Gaby Brüggemann

Tat­säch­lich bie­te der Inhalt der Akte die „sel­te­ne Gele­gen­heit sich in die­se Zeit hin­ein­zu­ver­set­zen, in der sich ein emo­tio­na­les Gemisch aus Angst, unter­drück­ter Wut und zum Teil hoff­nungs­lo­sem Wider­stand wohl dann auch häu­fig lei­der durch Eigen­nutz Luft mach­te“. Denn sie skiz­zier­te die Vor­gän­ge von 1935 haut­nah und rück­te die Rol­le des bis dahin in Wer­ne wenig bekann­ten Karl Tos­se ins Licht. Bei ihren wei­te­ren Recher­chen zu des­sen Per­son rekon­stru­ier­te die Archi­va­rin ein bio­gra­fi­sches Täter­pro­fil über das Han­deln der NSDAP in der städ­ti­schen Ver­wal­tung von Werne.

Maetz­ke schil­dert: „Ihm (Tos­se) wur­de im Mai 1935 die neue Haupt­sat­zung der Stadt Wer­ne durch die Gemein­de­rä­te zur Geneh­mi­gung vor­ge­legt. Die fünf kur­zen Para­gra­phen (…) wur­den offen­sicht­lich sorg­fäl­tig durch die Par­tei geprüft, bewil­ligt und Anfang August 1935 in der Natio­nal­zei­tung, dem amt­li­chen Kreis­blatt Lüding­hau­sen, veröffentlicht.“

Das bereits Ende 1933 im Gemein­de­ver­fas­sungs­ge­setz ver­an­ker­te Füh­rer­prin­zip schlug mit dem Beschluss der Haupt­sat­zung auch in Wer­ne durch. Fort­an habe es kei­ne Sit­zung des Stadt­rats mehr ohne die Par­tei gege­ben, die Gemein­de­rä­te wur­den nicht mehr von den Bür­gern gewählt, son­dern wie auch die Bür­ger­meis­ter oder Ober­bür­ger­meis­ter beru­fen. Auch die Beru­fung der Bei­rä­te auf sechs Jah­re erfolg­te durch den Beauf­trag­ten der NSDAP. In Wer­ne wur­de die Zahl der Gemein­de­rä­te auf zwölf gesenkt. Der Bür­ger­meis­ter selbst konn­te nicht mehr zur Sit­zung ein­la­den, das oblag den rang­äl­tes­ten Mit­glie­dern der Schutz­staf­feln und Sturm­ab­tei­lun­gen der NSDAP.

Die Genehmigung der Hauptsatzung der Stadt Werne durch NSDAP-Kreisleiter Karl Tosse, die Anfang August 1935 im amtlichen Kreisblatt Lüdinghausen veröffentlicht wurde. Foto: Gaby Brüggemann
Die Geneh­mi­gung der Haupt­sat­zung der Stadt Wer­ne durch NSDAP-Kreis­lei­ter Karl Tos­se, die Anfang August 1935 im amt­li­chen Kreis­blatt Lüding­hau­sen ver­öf­fent­licht wur­de. Foto: Gaby Brüggemann

„Die Stim­mung der Bevöl­ke­rung in der Stadt Wer­ne war in die­sen Tagen auf­ge­wühlt“, lenkt die His­to­ri­ke­rin den Blick auf die zeit­li­che Par­al­le­li­tät zu den Vor­gän­gen um die Wer­ner Kolpingbrüder.

Nach der Ver­tei­lung von Flug­blät­tern durch die Kol­ping­brü­der und deren Ver­haf­tung Anfang August erschien zeit­gleich mit der Ver­öf­fent­li­chung der neu­en Haupt­sat­zung ein Bericht zu die­sen Vor­gän­gen. Unter dem Titel „Aus der Lip­pe­stadt – Bit­te, kei­ne Begrif­fe ver­wir­ren“, wur­de dar­in aus dem Blick­win­kel der Par­tei schein­bar sach­lich die Rede von den „Wöl­fen im Schafs­pelz“ zurück­ge­wie­sen, erläu­ter­te Maetz­ke sinngemäß.

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