Werne. In angelsächsischen Ländern hat er eine lange Tradition, die inzwischen gern in Deutschland aufgegriffen wird: der Evensong. Dagmar Borowski-Wensing hat diese Form des abendlichen Stundengebets in der Evangelischen Kirchengemeinde Werne etabliert. Da passte es, dass sich die Kirchenmusikerin am Sonntag (28. April 2024) mit einem Evensong in den Ruhestand verabschiedete.
Unter ihrer Leitung trugen Freunde, Kollegen, Weggefährten und Chöre ihr stimmliches und instrumentales Können zusammen. Das Ergebnis: ein abwechslungsreiches Programm. Dazu trug die Auswahl der aufgeführten Werke aus Barock, Klassik, Romantik und Gegenwart bei. Da der Evensong auf Kantate, den vierten Sonntag nach Ostern, fiel, prägte ein positiver Grundton viele Stücke – getreu der Maßgabe „Singt dem Herrn“ (Cantate Domino). Damit kontrastierten Stücke von ruhig-idyllischem Charakter.
Etwa wie Bachs „Air“ aus der Orchestersuite Nr. 3 in D-Dur: Die niederländische Violinistin Annemieke Corstens eröffnete mit diesem Satz den Evensong – fast unmerklich zunächst. Doch dann setzte sich ihr klangschöner Geigenton sacht, aber beharrlich gegen das Stimmengewirr in der Martin-Luther-Kirche durch. Still geworden lauschten die Menschen der sanglichen Geige zur flötenähnlichen Orgelbegleitung von Dagmar Borowski-Wensing. Fingerfertig interpretierte Andrea Knefelkamp-West das Allegro aus Mozarts Klaviersonate F-Dur auf ihrem Konzertakkordeon – mal mit orgelähnlicher Klangfülle, mal mit sachten Tupfern. Später ließ sie Astor Piazzollas „Triunfal“ durchs Gotteshaus wirbeln, verharren, sich wiegen und wieder Fahrt aufnehmen. Aus perlenden Harfenklängen schälte Ursula Kirchhoff die innige Liebesballade „Greensleeves“ heraus. Und sie nahm sich Zeit, die schlichte Eleganz der „Pavane“ von Gabriel Fauré voll auszukosten.
Der Schwerpunkt des Abends lag jedoch auf dem gemeinsamen Singen. „Du singst von Herzen gern und wir singen gern mit dir“, hatte Alexander Meese, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Werne, Dagmar Borowski-Wensing zu Beginn des Evensongs gewürdigt. In diesem Sinne sangen die Chöre „Vocapella“ und „Singing Ladies“ sowie das Jamulusquartett: Dagmar Borowski-Wensing (Sopran), ihr Mann Hans-Joachim Wensing (Tenor), Ursula Kirchhoff (Alt) und Heiko Ittig (Bass). Sie verwoben das vielstimmige „Cantate Domino“ von Hans Leo Hassler zu einem barocken Klangteppich, setzten dagegen die anmutigen Melodielinien von Mendelssohns Choral „Deines Kinds Gebet erhöre“ und schlossen mit der feierlichen Fuge „Psallite Deo“ von Bach. In diesem Fall verstärkte die junge ukrainische Sängerin Anastasia Soloviova das Quartett.
Der gemischte Chor Vocapella intonierte zwei Hymnen des zeitgenössischen britischen Komponisten John Rutter: „Look at the World“ und „A clare Benediction“. Die gradlinigen Melodien lebten von der kontrastreichen Verteilung schwebender Frauen- und erdender Männerstimmen, von aufblühenden Crescendi, betontem Forte und poetischem Piano. Mit ihrer lebhaften Interpretation von „Let there be Peace on Earth“ animierten die Singing Ladies das Publikum zum Mitklatschen. Die Zuhörenden waren bei zwei Liedern aus dem Evangelischen Gesangbuch außerdem zum Mitsingen eingeladen.
Zum Ende der musikalischen Andacht ließ Meese das Wirken von Dagmar Borowski-Wensing in der Gemeinde noch einmal Revue passieren – von den Musicals, die sie mit Kindern einstudiert hatte, über ihre „virtuosen Orgelbegleitung“ bei Taufen, Trauungen und Sonntagsdiensten bis zur Initiative der Evensongs. Stellvertretend für das Presbyterium überreichten Dr. Gabriele Angenendt und Sabine Strauß der scheidenden Kirchenmusikerin eine große Notentafel, versehen mit guten Wünschen. Zum Schluss ergriff Borowski-Wensing selbst das Wort und erinnerte sich an jenen Moment, in dem ihre große Liebe zur Kirchenmusik begann – als sie an der Hand ihres Vaters einen Kindergottesdienst besuchte und das Lied „Weil ich Jesu Schäflein bin“ erklang. „Bis heute ist mir diese Liebe zum Kulturs und zur Kultur geblieben.“
Der Evensong endete mit einem strahlenden Glanzpunkt: der „Trumpet Tune“ von Jeremiah Clarke, gespielt von Jörg Segtrop. Anschließend lud Dagmar Borowski-Wensing alle Mitwirkend und Zuhörende zur einer Feier ins Martin-Luther-Zentrum ein. Dort hatten die Chöre noch eine Überraschung einstudiert: das Lied „Chöre“ von Mark Forster.