Werne. „Geschichte“ ist nicht einfach „früher“. Auch unsere eigenen Lebenserfahrungen sind irgendwann historisch. Darum dürfen auch Museumsausstellungen nicht in tiefer Vergangenheit stehen bleiben, sondern müssen auch die jüngste Vergangenheit in den Blick nehmen.
Das Stadtmuseum Werne macht sich daher, gemeinsam mit Bürgerdialogmanagerin Dr. Linn-Julia Temmann auf die Suche nach Wernes Stadtgeschichte der letzten 60 Jahre. In einem großangelegten Aufruf bitten sie die Wernerinnen und Werner um ihre Geschichten und Erinnerungen.
Die Auftaktveranstaltung findet Dienstag, 11. März, 17.30 Uhr im Stadtmuseum statt. „Natürlich könnten wir auch, wie Historikerinnen und Historiker das normalerweise tun würden, die Verwaltungsakten, Zeitungen aus dieser Zeit und offizielle Quellen anschauen. Aber um wirklich das Leben einzufangen, ist es doch viel sinnvoller, wenn wir diejenigen fragen, die tatsächlich dabei waren: Wer könnte besser über die letzten Jahrzehnte in Werne urteilen als die, die diese Jahre hier gelebt und gestaltet haben?“, erläutert Museumsleiter Flemming N. Feß die Idee hinter dem Projekt.
Die Zeit zwischen 1960 und 2020 wird in der Dauerausstellung des Stadtmuseums bisher nicht berücksichtigt. Die 2022 neu eröffnete Dauerausstellung „Identitätswandel“ erzählt die Stadtgeschichte Wernes ab dem beginnenden 19. Jahrhundert. Innerhalb dieser 200 Jahre hat die Stadt Werne mehrfach ihr Gesicht gewandelt und sich neu erfunden. Viele Themen, wie die Geschichte der Zeche Werne, die 1975 geschlossen wurde, greifen dabei auch in die Zeit nach dem Wirtschaftswunder ein, in der Erzählung endet die Ausstellung aber mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und schließt dann mit der Mitmachstation ab: „Was wird morgen Geschichte sein?“
Diese Lücke soll nun geschlossen werden. Was hat Werne in den Jahrzehnten nach 1960 ausgemacht? Was veränderte sich? Wie wirkte es sich auf das Leben hier aus? Wie erlebte Werne den Kalten Krieg, die Ölkrise der 1970er Jahre, die Wiedervereinigung, die Einführung des Internets? Wie fühlte es sich an, als der Kreis Lüdinghausen aufgelöst wurde und Werne mit dem Kreis Unna plötzlich auf dem Papier nicht mehr Münsterland, sondern auch Ruhrgebiet wurde? Wie wurde die Umstellung der Postleitzahl von 4712 auf 59368 aufgenommen? Welche Erinnerungen gibt es an prominente Besuche, Stadtfeste, außergewöhnliche Events, aber auch an Unfälle, Stürme, Schneekatastrophen, Überschwemmungen oder Brände?
„Uns geht es um die großen Themen, aber auch um die Kleinen. Wir wollen das Lebensgefühl der Menschen einfangen. Dabei hat eine Friedensdemo genauso Platz wie Erinnerungen an legendäre Stammkneipen, Sportveranstaltungen oder besondere Sim-Jü-Besuche. Uns geht es darum, zuzuhören und ein Gesamtbild zu gewinnen“, macht Dr. Linn-Julia Temmann deutlich, „Wir wollen mit den Bürgerinnen und Bürgern im Dialog und auf Augenhöhe bestimmen, wie die jüngste Stadtgeschichte geschrieben werden soll.“
Das Beteiligungsprojekt läuft dabei in mehreren Schritten: Am Dienstag, 11. März, um 17.30 Uhr laden Museum und Bürgerdialog zunächst zu einer Infoveranstaltung ins Stadtmuseum ein. „Wir wollen über erste Themen ins Gespräch kommen, Assoziationen wecken und unser Projekt noch einmal genauer erklären“, erklärt Feß. Im Anschluss beginnt Phase 1: Die Sammlung der Geschichten und Erinnerungen. Dabei geht das Team zweigleisig vor: Online auf der Plattform „Beteiligung NRW“ sowie „analog in Präsenz“ bei mehreren „Sammeltagen“ im Museum. Die jeweiligen Termine werden dann gesondert bekanntgegeben. „Keine Geschichte ist zu banal, um erzählt zu werden“, betont Temmann, „Wir freuen uns über so viele Beiträge wie nur möglich. Denn nur, wenn möglichst viele mitmachen, entsteht auch ein vollständiges Bild!“
Bis Mitte Juni sollen die Beiträge gesammelt werden. Ob mit Namen oder anonym teilgenommen wird, bleibt dabei jeder und jedem selbst überlassen.
In Phase 2 des Projekts soll dann eine Auswahl aus allen Einreichungen getroffen werden. Denn natürlich kann nicht alles im Museum Platz finden. Wieder wird hierbei in Form einer Abstimmung die Öffentlichkeit einbezogen.
Im Herbst/Winter sollen dann die durch das Museumsteam aufbereiteten Inhalte in die Dauerausstellung integriert werden. „Unser Zeitplan ist sportlich“, gibt Feß zu, „aber wir hoffen auf spannende Beiträge und freuen uns darauf, das Museum mit den Menschen vor Ort gemeinsam weiterzuentwickeln. Wir sind sehr gespannt, was da kommt!“
Wer neugierig geworden ist, ist eingeladen, am Dienstag, 11. März, 17.30 Uhr im Stadtmuseum vorbeizuschauen und mehr zu erfahren.