Werne. Schon allein wegen ihres Essays „Ein Zimmer für sich allein“ hätte so manch eine – und auch einer – Virginia Woolf gern kennengelernt. Jene unerschrockene und experimentierfreudige Schriftstellerin, die sich am 28. März 1941 angesichts einer psychischen Erkrankung das Leben nahm. Den Künstlerinnen Andrea Knefelkamp-West und Monika Bujinski gelingt es am Internationalen Frauentag, die für die moderne Literatur so wichtige Woolf ein Stück weit erlebbar zu machen.
Im Wohnzimmer der Stadtbücherei Werne sitzt eine schlanke Frau mit feinen, schmalen Gesichtszügen an einem runden Tisch. Sie trägt ein bodenlanges weißes Spitzenkleid. Ihre Feder gleitet übers Papier. Es wird der Abschiedsbrief an ihren Ehemann Leonard Woolf. Laut liest sie ihn vor, mit gefasster Stimme, durch die Zärtlichkeit und Resignation klingt. Von den fast 50 Frauen und Männer im Publikum ist kein Mucks zu hören. Wenn Monika Bujinski in die Rolle der Virginia Woolf schlüpft, überzeugt sie mit ihrer gut durchdachten Rezitation. Dass sie außerdem dem Typ der Schriftstellerin ähnelt, verstärkt den Eindruck.
Ein großformatiges Foto von Virginia und ihrem Ehemann erscheint auf einem Monitor neben dem Künstlerinnen. Sacht stimmt Andrea Knefelkamp-West auf ihrem Tastenakkordeon jene Musik an, die Leonard Woolf am Abend nach der Trauerfeier für seine Frau hörte: die Cavatina aus Beethovens Streichquartett op 130 B-Dur. Es ist ein trauriger Beginn des Abends. Doch Bujinski und Knefelkamp-West sorgen schnell dafür, dass es nicht so bleibt. Virginia Woolf war eine vielschichtige Persönlichkeit. Das unterstreichen die beiden Künstlerinnen in Texten der Schriftstellerin, in biografischen Anmerkungen und Musikstücken.
Woolf gehörte nicht zu den Menschen, die lamentieren. Spottlustig lässt sie sich „Über das Kranksein“ aus und persifliert die literarischen Schwierigkeiten, aus Zahnschmerzen eine Plot zu konstruieren. Gegen die Beschränkungen, die ihr patriarchalisches Zeitalter den Frauen auferlegte, zückt sie Witz und Ironie.
Mit „Ein Zimmer für sich allein“ hat Woolf ein Stück Emanzipationsgeschichte geschrieben. Das separate Zimmer, dass nur wenigen Frauen innerhalb ihrer Familien zugestanden wurde, wird zur Metapher für den Raum, der den Frauen in der Gesellschaft (nicht) gehört. Zu Recht haben Bujinski und Knefelkamp-West dieses Essay daher in den Mittelpunkt ihrer Hommage gestellt. Zugrunde liegen ihm zwei Vorträge von Woolf – und so trägt Bujinski die Passagen daraus auch vor: aufrecht hinter einem Lesepult stehend, die Fäuste bisweilen geballt, sich mit erhobener Stimme ans Publikum wendend.
Woolf hat die prekäre Lage der Frauen scharfsichtig analysiert und spitzzüngig verpackt. Mit ihrer Musik weckt Andrea Knefelkamp-West die Emotionen, die hinter den Zeilen lauern. Aus den hastigen Läufen in Gerald Tyrwhitts „Vertreibung aus dem Paradies“ schallt Entrüstung; ein verträumtes Andantino von Edward Elgars beschließt einen sinnenden Gedankengang. Und wenn Bujinski jene Worte rezitiert, mit denen Woolf das Werk ihrer Kollegin Jane Austen beschreibt, intoniert Knefelkamp-West ein Presto von Haydn wie einen launigen Dialog – mit pikanten Einwürfen, Unterbrechungen und humorvollem Konter. Zu voller Virtuosität läuft die Akkordeonspielerin auf, wenn sie Woolfs Leidenschaft für Musik mit Mozart illustriert. Sein „Allegro assai“ aus der Klaviersonate F-Dur (KV 332) lässt sie zwischen tänzerischer Leichtigkeit und orchestralem Forte changieren – und die Zuhörenden glauben, sie lauschten einem vierhändigen Klavierstück.
An einer Stelle kommt Virginia Woolf selbst zu Wort – nicht nur durch ihre Texte, sondern mit ihrer eigenen Stimme. Aus der BBC-Tonaufnahme von 1937 erklingt ein dunkles Timbre, das nicht ganz zu der ätherischen Gestalt der Schriftstellerin zu passen scheint. Wohl aber zu den gewaltigen Sprachbildern, die sie hinterlassen hat. Dem „Eichhörnchenkäfiggeist“, der ihre kreisenden Gedankensprünge skizziert. Oder ihrer „Qualität als Kratzpfosten“, die ihre Freundschaft zur Frauenrechtlerin Ethel Smyth aufrechterhält.