Werne. In einer eindringlichen Rede erinnerte Bürgermeister Lothar Christ am gestrigen Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 an die 1.300 Todesopfer dieser Nacht, die Inhaftierung von mehr als 30.000 Juden in Konzentrationslagern sowie an die Zerstörung von Synagogen und Gebetshäusern, an die Plünderungen privater Wohnungen und Geschäfte. „Es war die Katastrophe vor der Katastrophe“, zitierte er den Historiker Dan Diner.
Die Stadt Werne hatte zur Teilnahme an der Gedenkfeier am Standort der ehemaligen Synagoge in der Marktpassage aufgerufen. Geschätzt 100 Menschen – und somit deutlich mehr als in den Jahren zuvor – folgten der Einladung und gedachten schweigend mit Lichtern in der Hand den Opfern und Zerstörungen dieser Nacht.
Gleichzeitig setzten sie mit den Aufklebern „Nie wieder ist jetzt“ ein Zeichen gegen wachsenden Antisemitismus. An der Front des Alten Rathauses hatte das Werner Bündnis gegen Rechts mit Zustimmung des Bürgermeisters das Banner „Gegen jeden Antisemitismus“ angebracht.
Die Gedenkfeier leitete Lara Overmann, Auszubildende bei der Stadt Werne, mit Zitaten von Margot Friedländer ein. Die 102-Jährige überlebte Verfolgung und das Konzentrationslager Theresienstadt und zählt zu den wenigen, noch lebenden Zeitzeugen.
„Im Gedächtnis der jüdischen Bevölkerung – dessen können wir sicher sein – werden die schrecklichen Ereignisse des 9. Novembers 1938 und der spätere Holocaust über viele Generationen hinaus präsent bleiben. Insoweit werden Traumata gewissermaßen vererbt“, sagte Lothar Christ.
Gedenken an die Reichspogromnacht – Erinnerungskultur weiterentwickeln
So müsse man die Gedenkkultur insbesondere mit Blick auf junge Menschen weiterentwickeln. Bei den Jugendlichen und meisten Erwachsenen deutscher Herkunft, die in einem demokratischen Rechtsstaat aufgewachsenen seien, gebe es an dem Thema der Verfolgung und Ermordung von Juden nur mittelmäßiges Interesse. Und wenn er bisher von jungen Menschen mit deutscher Herkunft gesprochen habe, müsse man sich auch vor Augen führen, dass viele Menschen in Migrantenfamilien keinen familiären Bezugspunkt zum Nationalsozialismus und zur Judenverfolgung haben könnten.
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„Das heißt, dass eine moderne Gedenkkultur der aktuellen Verfasstheit unserer Gesellschaft nicht ausweichen kann. Dazu zählt neben der größer werdenden Zahl der Migranten auch das Phänomen einer erstarkten politischen Gruppierung am rechten politischen Rand, aus deren Reihen der Nationalsozialismus als ,Vogelschiss´ bezeichnet worden ist “, so der Bürgermeister.
Die sinkende Zahl der Zeitzeugen, die veränderten Verhaltensweisen der jungen Generation, die Erfahrungen und Einstellungen von Migranten und das Erstarken der politischen Rechten müssten als Veränderungen wahrgenommen werden, die es heute notwendig machten, in der Erinnerungskultur neue Wege zu gehen, betonte er.
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Christ vergaß dabei nicht, viele positive Beispiele der Erinnerungskultur zu nennen die es an den Werner Schulen gebe und wies in diesem Sinne wies er auf die non-profit Organisation Zweitzeugen e.V. hin, die vor allem junge Menschen durch das Weitergeben der Geschichten von Überlebenden des Holocaust befähige selbst zu Zweitzeuginnen und -zeugen zu werden.
Schließlich und schlug er den Bogen zur Gegenwart, die am 7. Oktober 2023 mit dem größten Massenmord an Juden nach dem 2. Weltkrieg durch die Terrororganisation Hamas brachte. „Und dann mussten wir erleben, wie tausende Menschen in aller Welt auf die Straße gingen und gegen Israel und gegen Juden protestierten. Für uns in Deutschland war und ist dies besonders erschütternd angesichts der Ereignisse, deren wir heute gedenken.“
„Hunderttausende Muslime in Deutschland leben seit Jahren friedlich unter uns. Doch die Gefahr des durch Einwanderung importierten Antisemitismus dürfen wir nicht klein reden“, wandte er sich gegen eine unkontrollierte Migration, die die Gesellschaft entzweie sowie Wählerinnen und Wähler in die Arme von Rattenfängern treibe.
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Abschließend zitierte er Margot Friedländer: „Wir müssen wachsam sein und nicht wie damals wegschauen. Hass, Rassismus, Antisemitismus dürfen nicht das letzte Wort der Geschichte sein“.