Donnerstag, März 30, 2023

Lebenslichter verlöschen: Schüler-AG erinnert an Zwangsarbeit

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Wer­ne. Ein Wind­stoß pus­tet die wei­ßen Grab­lich­ter auf den Klapp­stüh­len aus. Lara Scheer seufzt: „Die Rei­he habe ich gera­de zum zwei­ten Mal ange­zün­det.“ Ach­sel­zu­ckend macht sich die Schü­le­rin dar­an, die Ker­zen wie­der zu ent­zün­den. Das Wet­ter meint es nicht gut mit der Licht­in­stal­la­ti­on für die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus auf dem Wer­ner Kirchplatz. 

Dabei steckt im Ver­lö­schen der Flam­men ein star­ker Sym­bol­wert. Jede Ker­ze steht für einen Men­schen, des­sen Lebens­licht durch Zwangs­ar­beit aus­ge­löscht wurde.

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Nass­kalt und grau ist der 27. Janu­ar in die­sem Jahr. Durch­aus die pas­sen­de Stim­mung für den Tag des Geden­kens an die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Began­gen wird er seit fast 30 Jah­ren als Jah­res­tag der Befrei­ung des KZ Ausch­witz. Mit der Ker­zen­in­stal­la­ti­on auf dem Kirch­platz will die AG „WERE­mem­ber“ des Anne-Frank-Gym­na­si­ums an jene erin­nern, die von den Natio­nal­so­zia­lis­ten in Wer­ne zur Zwangs­ar­beit gezwun­gen wur­den – und die­se nicht über­leb­ten. 111 ver­stor­be­ne Kin­der, Män­ner und Frau­en sind nament­lich bekannt und auf dem Fried­hof am Süd­ring beerdigt.

„Vie­le ken­nen die­sen Fried­hof gar nicht oder kom­men nie dort­hin. Daher woll­ten die Schü­le­rin­nen und Schü­ler die Namen der Opfer ins Stadt­zen­trum holen“, erklärt Johan­nes-Joa­chim Brysch. Der Geschichts­leh­rer lei­tet die AG zusam­men mit sei­ner Kol­le­gin Chris­ti­na Butt­ke­reit. Ein­drucks­voll demons­trier­ten die jun­gen Men­schen die Zahl der Toten: 111 wei­ße Klapp­stüh­le ord­ne­ten sie zwi­schen dem Pfarr­heim und der St. Chris­to­pho­rus-Kir­che so an, dass die Stuhl­rei­hen wie ein Rei­hen­grab wirk­ten. Auf jedem Stuhl lag ein Zet­tel mit dem Namen eines oder einer Zwangs­ar­bei­ten­den, zusam­men mit einem Grablicht.

Trotz Näs­se und Käl­te ver­such­ten sie, die Gedenk­lich­ter für die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus am Bren­nen zu hal­ten: (von links) Johan­nes-Joa­chim Brysch, Fin­ja Marie Fran­ke, Mari­el­la Strehl, Lil­ly Bes­sel, Lara Scheer, Sofie Men­zel. Foto: Schwarze

„Ich fin­de es krass, wie vie­le Kin­der auch dabei sind.“ Lil­ly Bes­sel lässt ihren Blick über die Stüh­le schwei­fen. „Man­che haben kei­nen Tag lang gelebt.“ Jedes Mit­glied der AG hat die Bio­gra­fie eines oder einer Zwangs­ar­bei­ten­den auf­ge­ar­bei­tet. „Wir haben vom Stadt­ar­chiv viel Quel­len­ma­te­ri­al erhal­ten und zu man­chen Opfern gab es sehr vie­le Infor­ma­tio­nen, wo sie in Wer­ne gewohnt haben, wie sie gestor­ben sind“, erzählt Lil­ly Bes­sel wei­ter. Was sie sehr nach­denk­lich gemacht habe: „Es gab auch 16-jäh­ri­ge Zwangs­ar­bei­ter. Mein Bru­der ist genau­so alt, ich will mir das gar nicht vorstellen.“

Mit ihrer Akti­on – und auch mit ihrer Paten­schaft, die sie für die Gedenk­stät­te Zwangs­ar­beit Wer­ne am Süd­ring über­nom­men haben – will die AG gegen das Ver­ges­sen kämp­fen. „Es war eine schreck­li­che Zeit, in der so vie­le Men­schen gestor­ben sind, das dür­fen wir nicht ver­ges­sen. Und die Zeit­zeu­gen wer­den immer weni­ger“, erklärt Fin­ja Marie Fran­ke. Wie geplant weckt die Licht­in­stal­la­ti­on das Inter­es­se der Pas­san­ten. Vie­le blei­ben ste­hen und fra­gen nach. „Oft haben die Leu­te durch ihre Fami­li­en­ge­schich­te auch noch einen Bezug zum The­ma“, sagt Lara Scheer.

Pas­san­ten suchen das Gespräch mit den Schü­le­rin­nen und las­sen sich über die Licht­in­stal­la­ti­on auf dem Kirch­platz infor­mie­ren. Foto: Schwarze

So wie Hans-Die­ter Kun­ze, der den Zwei­ten Welt­krieg als Kind noch erlebt hat. Er habe als Sechs­jäh­ri­ger schon mit­be­kom­men, wie jüdi­sche Nach­barn plötz­lich dis­kri­mi­niert und dann depor­tiert wur­den. „Und ihre Häu­ser wur­den danach aus­ge­raubt“, erin­nert sich der Rent­ner.  „Mei­ne Paten­tan­te war Halb­jü­din, es war nur Glück, dass sie über­lebt hat.“ Bevor er wei­ter­geht, nickt er den Schü­le­rin­nen zu. „Es ist toll, dass ihr das macht. Man muss das im Kopf behalten.“

Heu­te um 17 Uhr fin­det an der Gedenk­stät­te Zwangs­ar­beit Wer­ne am Süd­ring eine Kranz­nie­der­le­gung für die Opfer statt.

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