Mittwoch, März 29, 2023

1952 – als Polio uns fast um Sim-Jü gebracht hätte

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Wer­ne. 2020 war eine Art Schick­sals­jahr für Sim-Jü. Zum ers­ten Mal seit dem Zwei­ten Welt­krieg fiel unse­re gro­ße Kir­mes aus – und selbst eine bereits ange­kün­dig­te Mini-Sim-Jü muss­te wegen der Pan­de­mie abge­sagt werden.

Sim-Jü-Exper­te Rai­ner Schulz erin­nert sich:

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Da ich mich schon als Kind für die Geschich­te von Sim-Jü leb­haft inter­es­sier­te, fiel mir als Par­al­le­le hier­zu sofort das Jahr 1952 ein. 69 Jah­re ist es jetzt her, dass Sim-Jü schon ein­mal einer Epi­de­mie zum Opfer fal­len soll­te, der Polio-Epi­de­mie, bes­ser bekannt als Kinderlähmung.

Im August 1952 waren zur Bekämp­fung der hoch­an­ste­cken­den Krank­heit (oft mit Todes­fol­ge) im Ruhr­ge­biet ein­schnei­den­de Maß­nah­men erlas­sen wor­den, die ab Ende des Monats auch auf den Regie­rungs­be­zirk Müns­ter aus­ge­dehnt wur­den. Die Bestim­mun­gen besag­ten unter ande­rem: „Mas­sen­ver­an­stal­tun­gen, die über sechs Stun­den hin­aus­ge­hen, ins­be­son­de­re Jahr­märk­te, Volks­fes­te wie Schüt­zen­fes­te und Kir­mes­sen, Tier­schau­fes­te und land­wirt­schaft­li­che Aus­stel­lun­gen sind verboten.“

Wir Schul­kin­der der Stein­tor­schu­le, die ja direkt in Kir­mes­nä­he lag und auf der immer die Schau­stel­ler­kin­der zur Mai- und Sim-Jü-Kir­mes zu Gast waren, hat­ten eine beson­de­re Bezie­hung zu Sim-Jü. Da war die Ent­täu­schung natür­lich groß und wir mach­ten fast alle lan­ge Gesich­ter, denn die Ver­bo­te soll­ten zunächst bis ein­schließ­lich 31. Okto­ber gel­ten, und Sim-Jü war für den 26. bis 28. Okto­ber vorgesehen.

Fröh­li­che Gesich­ter auf dem Klas­sen­fo­to von der Stein­tor­schu­le aus dem Jahr 1952: Sim-Jü muss­te nicht abge­sagt wer­den. Foto: Sim-Jü Archiv Rai­ner Schulz

Wir konn­ten uns gar nicht vor­stel­len, dass unse­re berühm­te Kir­mes, auf die wir uns so freu­ten, aus­fal­len soll­te, aber nun sah es tat­säch­lich so aus. Doch wie heu­te arbei­te­te die Stadt­ver­wal­tung, hier ins­be­son­de­re Ord­nungs­amt und Stadt­in­spek­tor August Velt­mann, unbe­irrt wei­ter auf Sim-Jü hin. Er hat­te die Hoff­nung, für Sim-Jü even­tu­ell eine Son­der­ge­neh­mi­gung erstrei­ten zu kön­nen, weil die Kir­mes am Ende der Ver­botspe­ri­ode lag. Doch soweit kam es über­ra­schen­der­wei­se erst gar nicht und kurz vor Sim-Jü lei­te­te Velt­mann fol­gen­den Text an die Pres­se wei­ter: „Die Gefahr, daß das Volks­fest Sim-Jü eben­so wie vie­le Ver­an­stal­tun­gen der letz­ten Zeit ein Opfer der Kin­der­läh­mung wer­den wür­de, ist besei­tigt. Die in der Poli­zei­ver­ord­nung zum Schut­ze gegen die Kin­der­läh­mung ent­hal­te­nen ein­schrän­ken­den Bestim­mun­gen wur­den bereits auf­ge­ho­ben, so daß es jetzt fest­steht: auch 1952 Sim-Jü!“

Die­se Nach­richt wur­de nicht nur von der Stadt­ver­wal­tung mit einem befrei­en­den Seuf­zer der Erleich­te­rung auf­ge­nom­men. Vor allem Geschäfts­leu­te, Gast­wir­te, nicht zuletzt aber auch die gro­ße Zahl der Schau­stel­ler, Aus­stel­ler, Bau­ern, Hand­wer­ker und sons­ti­gen geschäft­li­chen Inter­es­sier­ten haben auf­ge­at­met, dass ihnen das loh­nen­de „Objekt“ Sim-Jü nicht ver­lo­ren ging.

Sicher ist auch, dass sich die vie­len pri­va­ten Freun­de des Simon-Juda-Jahr­mark­tes, die Wer­ner Bevöl­ke­rung und die vie­len aus­wär­ti­gen Besu­cher, freu­ten, dass sie im Ver­gnü­gungs­rum­mel des Wer­ner „Okto­ber­fes­tes“ ein­mal wie­der so rich­tig „ut de Holsch­ken“ kommen.“

Velt­manns Text, der schnell die Run­de in Wer­ne mach­te, erzeug­te bei uns Kin­dern wah­re Jubel­stür­me, war für uns das Fest des Jah­res doch geret­tet. Schon weni­ge Tage spä­ter hin­gen über­all die Pla­ka­te und die ers­ten Schau­stel­ler tru­del­ten ein. Es wur­de eine gran­dio­se Kir­mes mit zwei ganz beson­de­ren Attrak­tio­nen, dem „Was­ser-Skoo­ter“ (Motor­boot-Selbst­fah­rer) und der gro­ßen Holz­ach­ter­bahn von Karus­sell­kö­nig Hugo Haa­se, Hannover.

Nach­be­mer­kung: Weni­ge Jah­re spä­ter wur­de gegen die Kin­der­läh­mung die soge­nann­te Schluck­imp­fung unter dem Mot­to „Schluck­imp­fung ist süß – Kin­der­läh­mung ist grau­sam“ mit gro­ßem Erfolg eingeführt.

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