Donnerstag, März 23, 2023

„Kleinen Menschen aus aller Welt eine Chance geben”

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Wer­ne. Die „Löwen­burg” ist Geschich­te. Am ver­gan­ge­nen Frei­tag schloss die Ein­rich­tung für Fami­li­en in Wer­ne nach vier erfolg­rei­chen Jah­ren für immer die Türen. Im Gespräch mit WERN­Eplus bli­cken die lang­jäh­ri­ge Lei­te­rin Chris­ti­na Schmidt, ihre Nach­fol­ge­rin und Schwes­ter Leo­nie Schmidt sowie Mut­ter Eri­ka Schmidt zurück.

Wie­vie­le Kin­der haben Sie in der „Löwen­burg” ins­ge­samt vor­mit­tags betreut und woher kamen diese?

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Chris­ti­na Schmidt: Es gab ja kei­ne offi­zi­el­len Anmel­dun­gen, das Ange­bot war stets frei­wil­lig. Daher ist es schon schwie­rig, eine Gesamt­zahl zu benen­nen. Aber mit Sicher­heit haben wir rund 500 Mäd­chen und Jun­gen ken­nen­ge­lernt; und das aus den ver­schie­dens­ten kul­tu­rel­len Krei­sen – von West­afri­ka über die klas­si­schen Bür­ger­kriegs­län­der Syri­en oder Afgha­ni­stan bis Bul­ga­ri­en oder Russ­land. Aber alles, egal ob Haut­far­be oder Her­kunft, war in der „Löwen­burg” egal.

Wie schnell haben sich die Kin­der an die Gewohn­hei­ten in deut­schen Kin­der­gär­ten gewöhnt?

Eri­ka Schmidt: Vie­le kann­ten das klas­si­sche Früh­stück nicht, haben dann auf dem Boden geses­sen, bis wir ihnen erklärt haben, dass man zusam­men am Tisch sitzt. Auch But­ter­bro­te waren ihnen fremd. Aber nicht lan­ge. Ich erin­ne­re mich, dass mich eine Mut­ter sams­tags ange­ru­fen hat­te und total vezwei­felt war, weil ihr Kind unbe­dingt so eine Stul­le geschmiert haben woll­te, wie ich es immer in der Löwen­burg mache. Also bin ich sofort hin. Unse­re Tätig­keit ging über die nor­ma­len Arbeits­stun­den hinaus.

Chris­ti­na Schmidt: Die ers­ten Kin­der waren auch für uns die schwers­te Hür­de. War hier das Eis gebrau­chen, fiel die Ein­ge­wöh­nung der nächs­ten viel leich­ter, weil sie sich an den „alten Hasen” ori­en­tiert haben. Sie haben bestimmt gedacht: „Was sind das für komi­sche Menschen!”

Mit vielen Erinnerungen wie dieses Kunstwerk samt Fotos der "Löwenkinder" verlassen Erika, Leonie und Christina Schmidt die Einrichtung. Foto: Wagner
Mit vie­len Erin­ne­run­gen wie die­ses Kunst­werk samt Fotos der „Löwen­kin­der” ver­las­sen Eri­ka, Leo­nie und Chris­ti­na Schmidt die Ein­rich­tung. Foto: Wagner

Wel­che Erin­ne­run­gen rufen bei Ihnen immer noch ein Lächeln oder Schmun­zeln hervor?

Leo­nie Schmidt: Oft kamen die Eltern mit einem Ord­ner vol­ler Doku­men­te zu uns. Ich selbst ver­ste­he die deut­sche Büro­kra­tie schon nicht, wie schwer muss es erst Men­schen fal­len, die unse­re Spra­che nicht spre­chen oder ver­ste­hen. Ein Mann kam zu mir mit sei­nen Akten und sag­te ver­zwei­felt: „Deutsch­land nur Post!”

Eri­ka Schmidt: Es sind ja vie­le Freund­schaf­ten ent­stan­den und wir haben oft Ein­la­dun­gen zum Essen bekom­men. Da haben die Frau­en oft zu ihren Män­nern gesagt: „In Deutsch­land ist die Frau der Boss!” Das hat mich sehr amü­siert. Auch die Ver­än­de­run­gen ein­zel­ner Müt­ter, die anfangs ver­schlei­ert kamen, spä­ter dann mit Jeans und Turn­schu­hen. Einer Frau war so heiß, dass sie ein­fach ihr Kopf­tuch abge­nom­men hat. „Ist ja nur Patrick (Anm. der Red.: Sozi­al­ar­bei­ter Patrick Naber) da!” Eine Mama hat spä­ter sogar hier gear­bei­tet. Also war die „Löwen­burg” auch ein siche­rer Ort für die Großen.

Chris­ti­na Schmidt: Wir haben auch immer alle Fami­li­en zu Weih­nach­ten ein­ge­la­den. Sie lie­ben das Fest wegen der vie­len hel­len Lich­ter. Es gab so vie­le schö­ne Momente.

Aber sicher­lich erleb­ten Sie auch nega­ti­ve Reak­tio­nen und Erlebnisse?

Leo­nie Schmidt: Uns erreich­ten Tele­fo­na­te, in denen wir beschimpft wur­den, dass nur für Flücht­lin­ge Platz sei und man selbst kei­nen Kita-Platz gekriegt habe. Da fie­len so Wor­te wie „Schma­rot­zer”. Das war schwer zu ertragen.

Eri­ka Schmidt: Ande­re Eltern kamen mit ihren Klei­nen nach­mit­tags vor­bei. Unse­re Tür stand offen und die Kin­der woll­ten in die „Löwen­burg”, was ihnen aber mit den Wor­ten „Das ist nur für Flücht­lin­ge” ver­bo­ten wur­de. Ich habe dann hin­ter­her geru­fen: „Das stimmt gar nicht!”

Chris­ti­na Schmidt: Und wir hat­ten auch schon die Poli­zei da und muss­ten Haus­ver­bo­te ertei­len. Lei­der haben eini­ge Men­schen auch ihre Kon­fli­ke mit nach Deutsch­land gebracht. „Mein Kind darf nicht mit die­sem Kind spie­len” haben wir auch gehört. Doch das gab es in der „Löwen­burg” nicht, bei uns waren alle gleich. Kin­der eben, die sich ihre Situa­ti­on nicht selbst aus­ge­sucht haben. Schwer zu ver­kraf­ten waren auch immer die Abschie­bun­gen. Von einem Tag auf den ande­ren fehl­te ein Kind. Zurück blie­ben nur Fotos und gemal­te Bilder.

Und wie fällt das Fazit nach vier Jah­ren „Löwen­burg” aus?

Chris­ti­na Schmidt: Die „Löwen­burg” war ein Pro­jekt, mit dem wir gut leben konn­ten. Den kleins­ten Men­schen der Welt eine Chan­ce zu geben, ist eine wun­der­vol­le Auf­ga­be. Inzwi­schen arbei­te ich im Offe­nen Ganz­tag und tref­fe vie­le Schütz­lin­ge in der Schu­le wie­der. Sie spre­chen per­fekt deutsch und erin­nern sich ger­ne an ihre Zeit in der „Löwen­burg”. Die Wert­schät­zung, die wir erfah­ren haben, war das schöns­te Geschenk.

Im vier­ten und letz­ten Teil unse­rer „Löwenburg”-Serie erzählt Chris­ti­na Schmidt noch eine beson­ders bewe­gen­de Geschich­te mit gutem Ausgang.

 

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