Mittwoch, Februar 5, 2025

„Kleinen Menschen aus aller Welt eine Chance geben“

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Werne. Die „Löwenburg“ ist Geschichte. Am vergangenen Freitag schloss die Einrichtung für Familien in Werne nach vier erfolgreichen Jahren für immer die Türen. Im Gespräch mit WERNEplus blicken die langjährige Leiterin Christina Schmidt, ihre Nachfolgerin und Schwester Leonie Schmidt sowie Mutter Erika Schmidt zurück.

Wieviele Kinder haben Sie in der „Löwenburg“ insgesamt vormittags betreut und woher kamen diese?

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Christina Schmidt: Es gab ja keine offiziellen Anmeldungen, das Angebot war stets freiwillig. Daher ist es schon schwierig, eine Gesamtzahl zu benennen. Aber mit Sicherheit haben wir rund 500 Mädchen und Jungen kennengelernt; und das aus den verschiedensten kulturellen Kreisen – von Westafrika über die klassischen Bürgerkriegsländer Syrien oder Afghanistan bis Bulgarien oder Russland. Aber alles, egal ob Hautfarbe oder Herkunft, war in der „Löwenburg“ egal.

Wie schnell haben sich die Kinder an die Gewohnheiten in deutschen Kindergärten gewöhnt?

Erika Schmidt: Viele kannten das klassische Frühstück nicht, haben dann auf dem Boden gesessen, bis wir ihnen erklärt haben, dass man zusammen am Tisch sitzt. Auch Butterbrote waren ihnen fremd. Aber nicht lange. Ich erinnere mich, dass mich eine Mutter samstags angerufen hatte und total vezweifelt war, weil ihr Kind unbedingt so eine Stulle geschmiert haben wollte, wie ich es immer in der Löwenburg mache. Also bin ich sofort hin. Unsere Tätigkeit ging über die normalen Arbeitsstunden hinaus.

Christina Schmidt: Die ersten Kinder waren auch für uns die schwerste Hürde. War hier das Eis gebrauchen, fiel die Eingewöhnung der nächsten viel leichter, weil sie sich an den „alten Hasen“ orientiert haben. Sie haben bestimmt gedacht: „Was sind das für komische Menschen!“

Mit vielen Erinnerungen wie dieses Kunstwerk samt Fotos der "Löwenkinder" verlassen Erika, Leonie und Christina Schmidt die Einrichtung. Foto: Wagner
Mit vielen Erinnerungen wie dieses Kunstwerk samt Fotos der „Löwenkinder“ verlassen Erika, Leonie und Christina Schmidt die Einrichtung. Foto: Wagner

Welche Erinnerungen rufen bei Ihnen immer noch ein Lächeln oder Schmunzeln hervor?

Leonie Schmidt: Oft kamen die Eltern mit einem Ordner voller Dokumente zu uns. Ich selbst verstehe die deutsche Bürokratie schon nicht, wie schwer muss es erst Menschen fallen, die unsere Sprache nicht sprechen oder verstehen. Ein Mann kam zu mir mit seinen Akten und sagte verzweifelt: „Deutschland nur Post!“

Erika Schmidt: Es sind ja viele Freundschaften entstanden und wir haben oft Einladungen zum Essen bekommen. Da haben die Frauen oft zu ihren Männern gesagt: „In Deutschland ist die Frau der Boss!“ Das hat mich sehr amüsiert. Auch die Veränderungen einzelner Mütter, die anfangs verschleiert kamen, später dann mit Jeans und Turnschuhen. Einer Frau war so heiß, dass sie einfach ihr Kopftuch abgenommen hat. „Ist ja nur Patrick (Anm. der Red.: Sozialarbeiter Patrick Naber) da!“ Eine Mama hat später sogar hier gearbeitet. Also war die „Löwenburg“ auch ein sicherer Ort für die Großen.

Christina Schmidt: Wir haben auch immer alle Familien zu Weihnachten eingeladen. Sie lieben das Fest wegen der vielen hellen Lichter. Es gab so viele schöne Momente.

Aber sicherlich erlebten Sie auch negative Reaktionen und Erlebnisse?

Leonie Schmidt: Uns erreichten Telefonate, in denen wir beschimpft wurden, dass nur für Flüchtlinge Platz sei und man selbst keinen Kita-Platz gekriegt habe. Da fielen so Worte wie „Schmarotzer“. Das war schwer zu ertragen.

Erika Schmidt: Andere Eltern kamen mit ihren Kleinen nachmittags vorbei. Unsere Tür stand offen und die Kinder wollten in die „Löwenburg“, was ihnen aber mit den Worten „Das ist nur für Flüchtlinge“ verboten wurde. Ich habe dann hinterher gerufen: „Das stimmt gar nicht!“

Christina Schmidt: Und wir hatten auch schon die Polizei da und mussten Hausverbote erteilen. Leider haben einige Menschen auch ihre Konflike mit nach Deutschland gebracht. „Mein Kind darf nicht mit diesem Kind spielen“ haben wir auch gehört. Doch das gab es in der „Löwenburg“ nicht, bei uns waren alle gleich. Kinder eben, die sich ihre Situation nicht selbst ausgesucht haben. Schwer zu verkraften waren auch immer die Abschiebungen. Von einem Tag auf den anderen fehlte ein Kind. Zurück blieben nur Fotos und gemalte Bilder.

Und wie fällt das Fazit nach vier Jahren „Löwenburg“ aus?

Christina Schmidt: Die „Löwenburg“ war ein Projekt, mit dem wir gut leben konnten. Den kleinsten Menschen der Welt eine Chance zu geben, ist eine wundervolle Aufgabe. Inzwischen arbeite ich im Offenen Ganztag und treffe viele Schützlinge in der Schule wieder. Sie sprechen perfekt deutsch und erinnern sich gerne an ihre Zeit in der „Löwenburg“. Die Wertschätzung, die wir erfahren haben, war das schönste Geschenk.

Im vierten und letzten Teil unserer „Löwenburg“-Serie erzählt Christina Schmidt noch eine besonders bewegende Geschichte mit gutem Ausgang.

 

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